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Große Momente. Ob Bill Clinton und Helmut Kohl im Schlosspark von Sanssouci die Sonne genossen, Berlin und die Welt die Aufhebung des Checkpoints Charlie feierten oder Königin Elizabeth II. zu Gast in der Hauptstadt war: Martin Löer (unten links) war als Protokoller fürs Gelingen mitverantwortlich. Fotos: dpa (3x), Thilo Rückeis

© picture-alliance / dpa

Berlin: „Protokoll ist, wenn’s klappt“

Betrunkene Staatschefs, endloses Gerangel um den Platz auf dem roten Teppich, eine mögliche royale Liaison mit einem Stubenmädchen vor langer, langer Zeit: Das alles ist Martin Löer in den vergangenen 28 Jahren begegnet. Erinnerungen eines Mannes, der Protokollchef des Bundespräsidenten und mehrerer Regierender Bürgermeister war.

Das Erste, was mich auf meine Tätigkeit vorbereiten sollte, war ein Buch. „Von Weimar nach Europa“, so lautet der Titel der Lebenserinnerungen von Edwin Redslob (1884–1973). Dieses Buch drückte mir seine Tochter 1984 in die Hand als Vorbereitung für die Tätigkeit im Protokoll. Ich konnte mir damals nur wenig unter Protokoll vorstellen, hatte aber Glück mit meinem neuen Chef, dem ich über die Schulter gucken durfte: einem erfahrenen Diplomaten und Protokoller aus dem Auswärtigen Amt, den sich Berlins Regierender Bürgermeister von Weizsäcker als Protokollchef ins Rathaus Schöneberg geholt hatte.

Redslob, von Hause aus Kunsthistoriker, war eine wichtige Figur im Nachkriegs-Berlin: Mitbegründer von Tagesspiegel, Freier Universität, Berlin-Museum. Er hatte auch eine Vergangenheit aus den Zeiten der Weimarer Republik: Für ihn wurde 1920 das Amt eines Reichskunstwarts geschaffen, ihm oblag die „Formgebung des Reiches“, der neuen Republik. Staatliche Feiern, Briefmarken, Banknoten, Siegel mussten gestaltet werden. Der abstrakte Begriff des Staates sollte lebendig veranschaulicht werden – da haben wir doch schon eine gute Definition für das (staatliche) Protokoll. Er gestaltete auch 1923 die 75-Jahrfeier der Frankfurter Paulskirchenverfassung. Für die musikalische Umrahmung gewann er Paul Hindemith. Mit seinem Quartett führte dieser auch das Musikstück von Haydn auf, dessen Melodie dem Deutschlandlied zugrunde liegt. Ganz Ähnliches erlebte ich in meiner West-Berliner Zeit: Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz pflegte bei den von ihm zu verantwortenden Veranstaltungen, an denen regelmäßig auch Vertreter der Alliierten teilnahmen, auf diese subtile Art die Nationalhymne zu Gehör zu bringen. Er war bei Weitem geschickter als ein früherer Berliner Protokollchef: Dieser hatte verabredet, dass im Rahmen eines Staatsbesuchs aus Jordanien in der Deutschen Oper vor Beginn der Aufführung neben der Hymne des Gastes auch das Deutschlandlied vom Orchester gespielt wurde. Aufruhr bei den Vier Mächten: Der Regierende Bürgermeister Stobbe wurde flugs von den drei westlichen Stadtkommandanten einbestellt. Sie bestanden darauf, dass bei derartigen Veranstaltungen gefälligst ihre Nationalhymnen zu spielen sind.

Überhaupt: Die Alliierten und das Protokoll. Die Protokollchefs waren zur Stelle, wenn der Bundespräsident oder Bundeskanzler einflog, sie bestanden darauf, diese sowie ankommende ausländische Staatsoberhäupter als Erste zu begrüßen, sie zu verabschieden, nicht etwa dem Regierenden Bürgermeister oder seinem Protokollchef den Vortritt lassend. Endloses Gerangel, wer auf und wer neben dem roten Teppich zu stehen kommt. Bei den Besuchen ihrer eigenen Staatschefs wurde mit mehr oder weniger Druck der Vasallenstatus der Kolonie West-Berlin betont, wenngleich der inzwischen zum Bundespräsident aufgestiegene von Weizsäcker es durchaus verstand, den Fuß in die Tür zu setzen – was prompt zu sowjetischen Demarchen, also deutlichem Protest, führte. Der Besuch im Reichstag gehörte zum Standardprogramm, mit Austritt auf den Balkon mit Blick auf Mauer, Stacheldraht und Brandenburger Tor – und meist gelang es, den Gästen vorher das vom Bundestagsprotokoll angebotene Sektglas abzunehmen.

Megaspannend wurde es für das Protokoll mit dem Mauerfall. Die Ereignisse und Besucher überschlugen sich; und auch die Pannen. Mit Grauen denke ich an den ersten Auftritt Bundeskanzler Kohls unmittelbar nach Maueröffnung vor dem Schöneberger Rathaus, als das Anstimmen der Nationalhymne in einem Pfeifkonzert endete. Es ist mir kein Trost, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht in Berlin war. Hätte ich das besser inszenieren können? Wie überhaupt reagieren auf spontane Einfälle? Das sind die wahren Feinde des Protokolls (und gelegentlich das Salz in der Suppe).

In diese Zeit fielen auch meine ersten Kontakte zu den DDR- Kollegen vom Protokoll. Bei der feierlichen Aufhebung des Checkpoint Charlie durch die Außenminister Amerikas, Frankreichs, Großbritanniens und Russlands sowie die beiden deutschen Außenminister redete der Protokoll-Kollege vom DDR-Außenministerium auf mich ein: Berlin solle sich unbedingt die Jagdreviere Honeckers einverleiben, bevor die Bonner kommen; er stehe mit Rat und Tat und Flinte parat. Er habe doch immer die Diplomatenjagden organisiert.

Die Alliierten mussten verabschiedet und der Parlaments- und Regierungsumzug umgesetzt werden. Und ich landete wieder beim Regierenden Bürgermeister von Berlin (mein sechster), der inzwischen ins Rote Rathaus umgezogen war. Ich wunderte mich unter anderem über den betrunkenen Jelzin. Wie greift man da als Protokoller ein?

Berlin und Brandenburg beschlossen die Fusion, und voller Enthusiasmus ging ich nach Potsdam. Die (verzögerte) Volksbefragung brachte jedoch nicht das erhoffte Ergebnis – und dabei hatte das Protokoll eine so schöne Einheitsfeier an der Glienicker Brücke vorbereitet!

Nicht immer reibungsfrei war die Zusammenarbeit mit dem Bund. Ein Beispiel, das mich staunen ließ: 1996 stürzte eine türkische Chartermaschine in der Dominikanischen Republik ab, 189 Tote, davon 168 Deutsche. Ich ging bei dieser großen Anzahl deutscher Opfer von einer nationalen Trauerfeier aus. Das wurde von der Bundesregierung jedoch nicht so gesehen. Wir fragten uns damals: Wäre es anders gewesen, wenn es ein Linienflug der Lufthansa und die überwiegende Zahl der Todesopfer nicht aus Ostdeutschland gewesen wäre? Sei’s drum. Uns gelang auch – gemeinsam mit den Kirchen – eine würdige Trauerfeier in der Potsdamer Nikolai-Kirche.

Dafür gingen die Neu-Berliner Protokoller vom Auswärtigen Amt bei anderer Gelegenheit in die Vollen. Beim Besuch von Präsident Clinton musste es auf Wunsch von Bundeskanzler Kohl etwas Besonderes sein: ein Mittagessen in Friedrichs Speisesaal im Schloss Sanssouci – nicht einmal zu DDR-Zeiten wurde eine derartige Ausnahme gemacht. Ich hatte mich noch stark gemacht für die Neuen Kammern, wenngleich ich einsehen musste, dass die dortigen sehr freizügigen Darstellungen der Ovid’schen Metamorphosen dem Lewinsky-geplagten Präsidenten schwerlich zugemutet werden konnten. Man muss als Protokollchef auch mal nachgeben, zumal Ministerpräsident Stolpe den Werbeeffekt für Sanssouci in die Waagschale warf – zu Recht.

2001 durfte ich mich dann Protokollchef des Bundespräsidenten nennen, neun Jahre lang. In protokollarischer Hinsicht eine beneidenswerte Position: Ich brauchte nicht mehr um die richtige Platzierung für meinen Chef ringen – er war die Nummer eins.

Ein Wort zu den Medien, deren Rolle für die Protokollarbeit wichtig ist, wenngleich es auch viele Fallstricke gibt, über die leicht stolpern ist. Was hatten wir uns 2004 alle Mühe gegeben bei der Vorbereitung des Staatsbesuchs von Königin Elizabeth. Schloss Bellevue wurde zu dem Zeitpunkt renoviert und stand somit für das Staatsbankett nicht zur Verfügung. Nach einigem Hin und Her entschied sich Bundespräsident Köhler für das Deutsche Historische Museum, den überdachten Innenhof vom Zeughaus. Und was war der Aufhänger in der britischen Boulevardpresse? Ein Foto aus der Nazizeit, das Zeughaus in vollem Hakenkreuz-„Schmuck“: „This is where the German President receives our Queen.“ Es hat dem Erfolg des Besuchs letztendlich keinen Abbruch getan. Die deutschen Medien waren freundlicher.

Und ich habe persönlich kaum Anlass zur Klage über die Medien, im Gegenteil; wenngleich ich es auch einmal zum „Buhmann der Woche“ in der Bild-Zeitung gebracht habe (wegen des Sommerfests des Bundespräsidenten, zu dem keine Kinder zugelassen wurden).

Wenn königlicher Besuch ansteht, wächst das Interesse am Protokoll. Königin Beatrix ist ein Gast, dem gern die Aufmerksamkeit geschenkt wird. In meiner Brandenburger Zeit besuchte sie Oranienburg, und Ministerpräsident Stolpe erhielt im Vorfeld einen Brief von einem möglichen entfernten Verwandten: Er stamme aus einer Liaison ihres Großvaters mit einem Stubenmädchen; es wäre doch schön, wenn es zu einer Begegnung mit Ihrer Majestät käme. Auch Johannes Heesters hatte sich ja in der Amtszeit Wulff auf ein Abendessen mit der Königin gefreut, ganz zu schweigen von Hape Kerkeling.

Bei dem Besuch der Britischen Königin bekam ich vom Bundespräsidenten eine Lektion in Sachen Staatssymbole erteilt: Bundespräsident Köhler, frisch im Amt, wartet vor dem Schloss Charlottenburg auf die Königin. Laufende Kameras, viele Kinder, Mitarbeiter der Britischen Botschaft verteilen „spontan“ Union Jacks. „Und wo sind unsere Fähnchen?“ Die Winkelemente an Ost-Berliner Protokollstrecken als abschreckende Erinnerung im Hinterkopf, war ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, Bundesfähnchen zu bestellen. (Das wurde dann prompt nachgeholt, und eine Fähnchenreserve ist auch heute noch griffbereit im Schloss Bellevue.)

Bei der Protokollarbeit hat man nach dem Detail zu suchen, aus dem sich das größere und immer komplizierte Ganze besser verstehen lässt, man lernt in Bildern zu denken, Begriffe zuzuspitzen. Haben Sie noch die Bilder im Kopf von dem grünen Kleid von Königin Elizabeth bei ihrem Versöhnungsbesuch in Irland? Protokoll kann auch in Schranken weisen. Die Anweisungen, die mir der Protokollkollege der Japanischen Botschaft in die Hand drückte, bevor es zu einem Treffen mit dem Kronprinzen kam: „In einer Reihe stehen, auf den Kronprinz warten. Warten bis der Kronprinz sitzt, Platz nehmen. Der Kronprinz spricht sein Gegenüber an. Dem Kronprinzen werden keine Fragen gestellt...“ Eine Seite lang Instruktionen. In realiter war es dann ein erstaunlich entspanntes Gespräch, bei dem der Kronprinz dazu animierte, ihm Fragen zu stellen.

Die kürzeste Definition unserer Arbeit: Protokoll ist, wenn’s klappt. (Wehe, wenn etwas schiefgeht.) Bundespräsident Rau pflegte seine Gäste mit Blick auf seinen Protokollchef zu fragen: „Was ist der Unterschied zwischen Terroristen und Protokoll?“ Er gab auch gleich die Antwort: „Mit Terroristen kann man verhandeln.“

Martin Löer ist seit 2010 Direktor für Protokoll und Information am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg. Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte Version eines Vortrags anlässlich einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

DIPLOMATIE FÜR ECHTE PROFIS

Modernes Protokoll ist die hohe Schule der Diplomatie: Protokollchefs schaffen die Grundlage, auf der politische Verhandlungen gedeihen können. Sie sind auch verantwortlich für das Klima, in dem Spitzenpolitiker miteinander reden. Es ist eine Sache, diskret Pannen zu überspielen, die auch bei sorgfältigster Vorbereitung lauern können. Eine andere Sache ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Gäste und Verhandlungspartner sich wohlfühlen.

PLANUNG IM MINUTENTAKT

Bei Staatsbesuchen ist jede Minute durchgetaktet, es gibt für die Delegationen Anleitungsbücher, in denen sogar manche Schrittfolgen festgelegt sind. Das Protokoll reicht vom Vorstellungskärtchen bis zur herzlichen Atmosphäre beim Abschied nach einem Besuch, bei dem auch dank des Protokolls aus Fremden Freunde wurden. Bi

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