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Berlin: Provinz-Mafia

Claus-Dieter Steyer

Das haben die Ossis diesmal allein geschafft: eine Kleinstadt mit einem Netz aus Bestechung und Geldwäsche überzogen, Filz vom Stadtparlament bis in Polizeikreise ausgelegt, illegale Prostitution, Glücksspiel und Menschenhandel betrieben und einen florierenden Drogenhandel bis nach Berlin aufgebaut. Die Angleichung zwischen Ost und West hat hier wunderbar funktioniert. Die organisierte Kriminalität wächst auch in der sich oft bieder gebenden Mark Brandenburg zu bedrohlicher Stärke. Der Fall Neuruppin macht Angst.

Seit der Wende hat die Stadt Fontanes und Schinkels einen sagenhaften Aufstieg genommen. Die meisten Straßenzüge glänzen, es macht Spaß, an der neuen Uferpromenade zu spazieren, über den Schulplatz zu bummeln und von der Klosterkirche den Ausblick über die renovierten Häuser zu genießen. Das 24000 Einwohner zählende Städtchen gehört zweifellos zu den Aufsteigern. Derzeit entsteht als Krönung der Aufbauarbeit direkt am See ein großes Hotel mit Fördermitteln, obwohl Brandenburg wegen des Überangebots an Hotels offiziell keine Investitionen im Tourismus mehr fördert. Doch offensichtlich hat der Erfolg von vielen ehrlich arbeitenden Kommunalpolitikern, Unternehmern und Angestellten eine dunkle Kehrseite.

Über Jahre hat sich eine Schattenwirtschaft mit erschreckenden kriminellen Auswüchsen etabliert. In Neuruppin spricht man zwar immer noch von einer „Bande“, aber die Dimensionen widerlegen diese Verniedlichung. Rund 100 Personen stehen im Visier des Landeskriminalamtes. Das dürfte ein großer Teil der maßgeblich die Geschicke der Stadt bestimmenden Menschen sein.

Doch nur so kann sich kriminelle Energie voll entfalten. Der Strippenzieher soll den entscheidenden Haupt- und Finanzausschuss des Stadtparlaments geleitet haben, Geld aus Prostitution und Drogenhandel in Immobilien gesteckt und selbst einen leitenden Polizisten bestochen haben. Eine offizielle Bestätigung für dieses Geflecht steht zwar noch aus, aber der Kreis der Verdächtigen wird immer größer. Durch den Wahlkampf und die Siegesfeiern danach gerieten die Neuruppiner Ereignisse in den Hintergrund.

Doch das Image des Landes wird nicht durch die Auftritte von Landespolitikern allein bestimmt. Neuruppin, so heißt es inzwischen nicht nur hinter vorgehaltener Hand, ist kein Einzelfall. Der Bürgermeister, der in Kürze in den Landtag einzieht, begründet seine Verstrickung mit „Dummheit“. Doch die schützt nicht vor Strafe. Ohnehin ist Neuruppin kein verschlafenes Provinznest. Hier sitzen beispielsweise die Verwaltung des Landkreises, die Fontane-Gesellschaft und – pikanterweise – die Schwerpunktabteilung Korruption der Staatsanwaltschaft. Nur in einem Punkt unterscheiden sich die Ost-Kriminellen von ihren West-Vorbildern. Sie versteckten sich als „Mafia“ nicht, sondern zeigten ganz offen ihren Zusammenhalt: an den Buchstaben XY auf den Autokennzeichen. Das ist keine Dummheit, sondern Selbstbewusstsein.

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