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Tatwerkzeug. Mit diesem Kajak soll der Maskenmann sein Opfer verschleppt haben. Im Gerichtssaal wurde das Boot herausgeputzt präsentiert.

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Update

Prozess in Frankfurt (Oder): Noch einmal neuer Beweisantrag im "Maskenmann"-Fall

Der "Maskenmann"-Prozess erlebte am Freitag seinen spektakulärsten Verhandlungstag. Nach Berichten des Tagesspiegels über einen möglichen weiteren Verdächtigen wollte der Verteidiger weitere Beweise prüfen lassen. Doch das Gericht lehnte das ab. Am Schluss gab es dann eine neue Wendung.

Zwei Staatsanwälte, vier Nebenkläger und alle warten erst einmal auf den Verteidiger des Angeklagten im "Maskenmann"-Prozess. Doch Axel Weimann bringt zunächst nur eine Kiste mit Akten in den Gerichtssaal in Frankfurt (Oder) und verabschiedet sich wieder. Weimann, der den Angeklagten Mario K. vertritt, wollte eigentlich am heutigen Freitag sein Plädoyer halten. Doch ob es dazu heute noch kommt, ist weiterhin unklar. Nach neuen Zweifeln und Erkenntnissen in dem spektakulären Verfahren hat der Verteidiger neue Beweisanträge gestellt und eine Vernehmung weiterer Zeugen beantragt. Nach längeren Beratungen lehnte das Gericht jedoch sämtliche Beweisanträge ab.

Mit eineinhalb Stunden Verspätung hatte der inzwischen 56. Verhandlungstag am Freitagmorgen begonnen. Das Landgericht Frankfurt (Oder) teilte mit, die Verteidigung wolle sich zunächst mit ihrem Mandanten beraten. Dabei ging es um den Tagesspiegel-Bericht vom vergangenen Wochenende, der einen möglichen weiteren Verdächtigen im Fall ins Spiel bringt und nachlässige Ermittlungen aufzeigt. „In den Haftanstalten gibt es kein Zeitungs-Abo und so musste ich meinen Mandanten erst von den neuen Erkenntnissen im Tagesspiegel unterrichten“, sagte Verteidiger Axel Weimann zur Begründung.

Im Prozess geht es um drei spektakuläre Taten im Umland von Berlin. Im August 2011 soll ein Maskierter die Unternehmergattin Petra P. vor ihrer Villa im brandenburgischen Bad Saarow, südöstlich von Berlin, attackiert und mit einem Knüppel brutal geschlagen haben. Im Oktober 2011 soll wiederum ein Maskierter die Familie P. überfallen haben. Dabei soll er auf den Bodyguard, den die Familie nach dem ersten Überfall eigens zum Schutz engagiert hat, geschossen haben. Seither ist der Mann querschnittsgelähmt.

Ein Jahr später, im Oktober 2012, soll ein Maskierter den Berliner Investmentbanker Stefan T. in dessen Villa am Storkower See entführt und mit einem Kajak und einer Luftmatratze auf eine Schilfinsel verschleppt haben, um Lösegeld zu erpressen. In der Villa soll er in die Decke geschossen haben. Das Opfer konnte sich nach zwei Nächten am Morgen des 7. Oktober nach eigenen Angaben selbst befreien und flüchten. Nach dem sogenannten "Maskenmann" wurde mit Phantombildern gesucht.

Das Bundeskriminalamt stellte anhand der Projektile fest, dass bei dem zweiten Überfall und der Entführung diesselbe Waffe benutzt worden ist. Die Tatwaffe wurde nie gefunden, im September wurde der Dachdecker Mario K., zuvor monatelang observiert, von einem Spezialeinsatzkommando in Berlin festgenommen. In dem Prozess vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) wirft die Staatsanwaltschaft Mario K. versuchten Mord, versuchte Tötung, gefährliche Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung vor.

"Der Mann kommt als Täter nicht in Betracht"

Durch ein Tagesspiegel-Recherchedossier am vergangenen Wochenende traten neue Widersprüche und Indizien zutage. Erstmals wurde öffentlich, dass auch ein anderer Mann verdächtig sein könnte, der besser zu den ersten Täterbeschreibungen passt, fragliche Alibis hat, die Opferfamilien gekannt haben könnte und wegen hoher Schulden sogar ein Motiv hätte. Es handelt sich um einen ehemaligen Polizisten der Fliegerstaffel Brandenburg, dessen Spur die Ermittler vorzeitig zu den Akten legten. Die Opposition im Brandenburger Landtag erwägt deshalb einen Untersuchungsausschuss. Die Staatsanwaltschaft lehnt dennoch den Widereintritt in die Beiweisaufnahme ab, da sie ein Alibi des Polizisten für eine der drei Taten für plausibel hält. Dieser Ansicht folgte das Gericht am Freitagnachmittag.

Tatwerkzeug: das verschleppte Kajak, wie es die Polizei fand. Muscheln waren darauf, sie wurden aber nie richtig untersucht.
Tatwerkzeug: das verschleppte Kajak, wie es die Polizei fand. Muscheln waren darauf, sie wurden aber nie richtig untersucht.

© Tagesspiegel

Aufgrund der neuen Erkenntnisse hatte der Verteidiger nun mehrere Hauptbeweisanträge gestellt, um die Unschuld des Angeklagten nachzuweisen. Sie fordern unter anderem, dass der genannte mögliche weitere Verdächtige ausführlich vernommen wird und DNA-Spuren von ihm genommen werden. Zudem solle geprüft werden, ob sein Handy zum Zeitpunkt der Entführung des Investmentbankers Stefan T. im fraglichen Bereich eingeloggt gewesen sei. Als neue Zeugen sollten seine getrennt von ihm lebende Frau sowie die heutige Partnerin des Mannes und dessen früherer Vorgesetzter nach dem Willen der Verteidigung gehört werden. Die Frau konnte im Tagesspiegel nicht bestätigen, dass ihr Mann während der gesamten Entführung entweder auf der Arbeit oder zu Hause war.

Am Nachmittag lehnte das Gericht jedoch nach mehrstündiger Beratung sämtliche neue Beweisanträge der Verteidigung von Mario K. ab. Es gebe keine Hinweise auf eine Tatbeteiligung jenes Ex-Beamten aus der Nähe beider Tatorte in Bad Saarow und Storkow, erklärte der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs. „Der Mann kommt nicht als Täter in Betracht“, sagte er. „Wir haben keine Hinweise auf seine Tatbeteiligung.“ Warum das Gericht das so siehgt, wurde nicht ausgeführt.

Ebenso abgelehnt wurde die Forderung von Verteidiger Mario K. nach einem Vergleich der von Hubschraubern gemachten Filmaufnahmen vom mutmaßlichen Entführung- und Aufenthaltsort des Opfers am Storkower See. Erst am zweiten Tag wurde darauf ein zweites Kajak entdeckt, mit dem der Investmentbanker Stefan T. aus seinem Haus angeblich verschleppt worden war. Der Bewuchs habe eine klare Sicht auf das Ufer verhindert, hatte ein Hubschrauberpilot die Unterschiede zwischen Tag eins und Tag zwei der Entführung erklärt.

Auch weiblche DNA-Spuren gefunden?

Das Gericht sah auch eine erneute Vernehmung des Entführungsopfers für nicht notwendig. Es sei nicht relevant, ob er den Ex-Beamten gekannt habe. Denn für diesen bestehe eben kein konkreter Tatverdacht, erklärte der Vorsitzende Richter.

Am späten Nachmittag stellte Weimann dann den Antrag, DNA-Spuren des Beamten abzugleichen mit der Decke, die auf der Schilfinsel gefunden worden war, sowie den Projektilen der Tatwaffen. Auch seien weibliche DNA-Spuren auf einer Plastikplane zu identifizieren, die auf der Schilfsinsel gefunden worden sei - diese seien noch zu untersuchen.

Das Gericht wollte über diesen Anmtrag nicht entscheiden, sondern vertagte sich auf den 4. Juni. Weimann gab zwar an, der Co-Verteidiger Christian Lödden sei an diesem Tag nicht da, der Richter sagte dazu: "Das ist mir egal." Er wolle dann ein Plädoyer hören. Und stürmte in den Richterraum. Draußen vor dem Saal wird Weimann dann sagen, es ist inzwischen 16 Uhr, er sei fassungslos. Ginge man danach, wie die Staatsanwaltschaft Ihre Indizienkette aufgebaut hat, käme immer noch der Beamte in Frage.

Nebenkläger nannten die Anträge "eine große Show"

Der ehemalige Polizist war kurzzeitig als möglicher Täter ins Visier der nach den Überfällen gegründeten Sonderkommission geraten, schied aber dann von der Liste der Tatverdächtigen aus. So soll er als Mitglied der Hubschrauberstaffel während der mutmaßlichen Entführung von seinem Diensttelefon aus telefoniert haben. „Das wollen wir untersuchen lassen“, hatte Verteidiger Weimann gesagt. „Das Telefon kann auch von einem anderen Kollegen bedient worden sein.“

Ursprünglich hatte das Gericht die Beweisaufnahme schon abgeschlossen.

Die Anwälte der Nebenklage nannten das Vorgehen des Verteidigers eine "große Show, die man sonst nur aus Amerika kennt". Die Beweisanträge seien Ausdruck einer Verschleppungstaktik. Es werde ein Schmutzkampagne gegen das Entführungsopfer geführt.

„Es ist doch gar nicht verwunderlich, dass das Handy von Andreas K. in der Nähe beider Tatorte eingeloggt waren“, sagte der Anwalt von Stefan T., Panos Pananis. „Schließlich wohnt der Mann ganz in der Nähe und auf dem Lande sind die Funkzellen nun mal nicht so groß."

Im Prozess gab es schon andere Merkwürdigkeiten

In die lange Reihe von Merkwürdigkeiten in diesem Prozess wurde mit diesem Tag ein neues Kapitel hinzugefügt. So gerät die Entführung immer seltsamer: Laut Verteidiger Weimann gibt es „gravierende Unterschiede“ in den Filmaufnahmen an den ersten beiden Tagen nach der Entführung. Auf der DVD des ersten Überflugs eines Hubschraubers über den Storkower See sei kein Kajak am Ufer und auch keine Plane über den mutmaßlichen Entführungsort zu sehen gewesen. Am Tag danach seien aber sowohl ein Boot in Seeufer als auch ein kleines Dach aufgenommen worden.

Suche nach dem Täter. Die Polizei präsentierte 2011 ein Phantombild vom Maskenmann in Tarnkleidung.
Suche nach dem Täter. Die Polizei präsentierte 2011 ein Phantombild vom Maskenmann in Tarnkleidung.

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Diese Filmaufnahmen müssten nun noch einmal verglichen werden, verlangte Weimann. Möglicherweise hat der vom Entführungsopfer Stefan T. geschilderte Tatablauf gar nicht so stattgefunden. Es bestünde jedenfalls die Möglichkeit, dass Kajak und Plane erst nachträglich platziert worden waren.

Es gibt nur Indizien, das Motiv ist vage

Der 47-jährige Mario K. aus Berlin-Marzahn ist mehrfach vorbestraft. Der Prozess begann im Mai 2014. Die Staatsanwaltschaft forderte bereits lebenslange Haft, die Nebenkläger sogar anschließende Sicherungsverwahrung. Nachdem die Ermittler 500 Hinweisen nachgegangen und 40 Verdächte geprüft hätten, sieht die Staatsanwaltschaft K. anhand einer Indizienkette überführt. Aber es gibt keinen schlagenden Beweis wie etwa eine DNA-Spur. Gegen Mario K. werden zudem seine Vorstrafen angeführt. Die Staatsanwaltschaft attestiert ihm als Motiv: Hass auf Reiche und Geldmangel. Sie will den 47-jährigen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes verurteilen. Mario K. selbst schweigt zu den Vorwürfen. Er ließ aber von seinem Anwalt erklären, er sei der Falsche.

Die Polizei auf Spurensuche. Seit dem Prozessbeginn gibt es Probleme mit Ermittlungsversäumnissen im Maskenmann-Fall.
Die Polizei auf Spurensuche. Seit dem Prozessbeginn gibt es Probleme mit Ermittlungsversäumnissen im Maskenmann-Fall.

© picture alliance / dpa

Schlagzeilen machte der Fall besonders, weil bei den Ermittlungen der Polizei eine Menge nachweislich schief lief. Selbst der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht von „unseren Fehlern bei den Ermittlungen“ und einem extremen Erfolgsdruck. Im Prozess selbst standen häufig nicht mehr die Vorwürfe gegen Mario K. selbst, sondern die Arbeit der Ermittler im Mittelpunkt. Mehrere Beamte erhoben den Vorwurf, dass sie nicht in alle Richtungen ermitteln durften. Sie beklagten, dass sie Zweifeln an den Angaben des Entführungsopfers nicht nachgehen konnten – auf Weisung der Chefermittler wegen der gesellschaftlichen Stellung des Opfers. Zudem wurde erst später bekannt, dass es auch Widersprüche zum Tatwerkzeug der Entführung gibt, einem Kajak, die aber nie überprüft wurden.

Das komplette Tagesspiegel-Recherchedossier zum Maskenmann finden Sie hier.

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