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Am Unfallort. Das Fahrzeug begrub zwei Feuerwehrleute unter sich.

© Paul Zinken/dpa

Update

Prozess um Tod zweier Feuerwehrleute: Lkw raste mit fast 90 km/h in die Unfallstelle

Zwei Feuerwehrleute sterben beim Einsatz in Brandenburg, nachdem ein Lkw in den Unglücksort raste. Der Lastwagenfahrer steht jetzt vor Gericht.

Klaus Schulz ist der Gang zum Gericht nicht leicht gefallen. Aber der 68-Jährige will dabei sein, wenn die Anklageschrift gegen den Lkw-Fahrer verlesen wird. Er will wissen, wie das Drama passieren konnte, bei dem er seine beiden Kameraden von der Freiwilligen Feuerwehr in Kloster Lehnin (Potsdam-Mittelmark) verlor.

Den 5. September 2017 werden die Feuerwehrleute aus Kloster Lehnin, ja aus dem ganzen Land Brandenburg wohl nie vergessen. Dieser Tag, er hat viel verändert. Seitdem, sagt Schulz, ist nichts mehr wie es war. „Die Stimmung ist eine andere geworden, die Kameraden sind bedrückt“, sagt der ehemalige Wehrführer von Kloster Lehnin. „Die meisten haben den Unfall bis heute nicht verdaut.“ Und dann ist da die Angst, die immer mit zum Einsatz fährt, seit sie vor genau 15 Monaten zwei Kameraden bei einem Unfall verloren haben. Bei einem Einsatz, wie er inzwischen regelmäßig vorkommt auf Brandenburgs Autobahnen mit dem zunehmenden Güterverkehr.

Prozessbeginn. Feuerwehrleute verfolgen die Verhandlung gegen einen Lkw-Fahrer.
Prozessbeginn. Feuerwehrleute verfolgen die Verhandlung gegen einen Lkw-Fahrer.

© Foto: Bernd Settnik/dpa

Zwei Familienväter getötet

Am frühen Morgen des 5. September 2017 rast ein Lkw auf der A2 in eine Unfallstelle. Zwischen den Autobahn-Anschlussstellen Brandenburg und Netzen ist ein Lieferwagen verunglückt, der Fahrer eingeklemmt. Die beiden Feuerwehrleute Philipp R. (23) und Sebastian K. (38) sind vor Ort, um zu helfen. Da rammt der Lkw ein Einsatzfahrzeug. Es kippt um, begräbt die beiden Helfer, Familienväter, unter sich. Sie sind sofort tot.

Der heute 57-jährige Fahrer, der übermüdet gewesen sein soll, muss sich seit Dienstag vor dem Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Dem Fahrer drohen laut Strafgesetzbuch bis zu fünf Jahren Haft oder eine Geldstrafe. Das Amtsgericht kann aber nur Haftstrafen bis zu vier Jahren verhängen.

"Da wird gedrängelt und gerast"

Einige Kameraden sind zum Gericht gekommen, wollen den Prozess verfolgen. Auch Mitglieder der Berufsfeuerwehr Potsdam sind da. Sebastian K. arbeitete dort, bei dem Einsatz war er als Wehrführer der Feuerwehr Kloster Lehnin dabei, als Freiwilliger. Klaus Schulz war sein Vorgänger im Amt. „Ich weiß, was auf den Autobahnen los ist“, sagt er. „Da wird rücksichtslos gefahren, gedrängelt, gerast“, sagt Schulz, der 50 Jahre Feuerwehrdienst hinter sich hat, aus Gesundheitsgründen selbst nicht mehr in den Einsatz kann. Seine Aufgaben übernahm Sebastian K. Die Lkw-Fahrer, meint Schulz, stünden unter Druck. Zum Teil respektierten sie nicht einmal die Feuerwehr, hielten die Rettungsgasse nicht frei. „Die Autobahnpolizei müsste Rasern kräftig auf die Finger klopfen“, fordert er. Aber von ihr sei nicht viel zu sehen.

Die Unfallzahlen für Brandenburg zeigen das Problem deutlich: 14164 Lkw- Unfälle gab es 2017 – ein Anstieg um 11,4 Prozent. 1421 Menschen wurden verletzt, 39 getötet – unter ihnen die beiden Feuerwehrleute.

Nur Trümmer. Ein Lastwagen war auf der Autobahn ungebremst in eine Unfallstelle gerast.
Nur Trümmer. Ein Lastwagen war auf der Autobahn ungebremst in eine Unfallstelle gerast.

© Paul Zinken/dpa

Große Anteilnahme

Die Anteilnahme im ganze Land war groß nach dem Unfall. Der Schock auch in der Politik groß. „Es ist eine Tragödie, die für mich kaum zu fassen ist. Sie wollten Leben retten und kamen dabei selbst zu Tode“, erklärte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) seinerzeit. Nur: Den Hinterbliebenen half das erst einmal nicht.

Das zeigte der Fall von Sebastian K., der zwar bei der Berufsfeuerwehr arbeitete, aber als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz ums Leben kam. Seine Angehörigen hatten deshalb keinen Anspruch auf die finanzielle Hilfe, die Familien von Beamten zusteht. Das Land Brandenburg änderte nach dem Unfall rückwirkend die Hinterbliebenenversorgung für Feuerwehrleute. Freiwillige sind nun den Mitarbeitern der Berufsfeuerwehr gleichgestellt. Angehörige können bis zu 60.000 Euro erhalten.

Der Angeklagte kommt eine Stunde zu spät

Der angeklagte Fahrer erscheint mit einer Stunde Verspätung zum Prozess. Er habe den Verkehr in Brandenburg unterschätzt, sagt sein Anwalt Mario Schink. Stefan M. ist deutscher Staatsangehöriger, wohnt in Berlin. Der Berufskraftfahrer war an jenem Schicksalstag auf dem Heimweg. Zwölf Stunden hinterm Steuer sei er laut Anklageschrift gewesen.

„Deutliche Übermüdungserscheinungen“ missachtend, sei M. unterwegs gewesen, als sich auf der A2 um 2.19 Uhr ein Unfall ereignet: Ein Kleinlaster fährt auf einen Sattelschlepper auf. Sechs Fahrzeuge der am nächsten gelegenen Freiwilligen Feuerwehr Kloster Lehnin sind vor Ort, sowie je zwei Rettungsfahrzeuge und zwei Polizeiwagen. Alle haben das Blaulicht eingeschaltet, die nächtliche Unfallstelle ist mit Scheinwerfern beleuchtet – „mehrere hundert Meter weit sichtbar“, heißt es in der Anklageschrift. Aber Stefan M. sieht das Licht nicht. Weil er, wie die Staatsanwaltschaft vermutet, am Steuer eingeschlafen ist.

Das tonnenschere Fahrzeug kippt um

Um 3.53 Uhr kracht sein Lkw mit Tempo 89 zunächst auf ein Polizeiauto, prallt dann mit immer noch 70 Stundenkilometern auf ein weiteres Fahrzeug, ehe der auf dem Mittelstreifen geparkte Einsatzwagen der Feuerwehr touchiert wird, neben dem drei Feuerwehrleute mit der Unfallbergung beschäftigt sind. Das tonnenschwere Fahrzeug kippt auf die Helfer. Für zwei von ihnen kommt jede Hilfe zu spät.

Für die Angehörigen, die als Nebenkläger im Gericht sind, sind die detaillierten Schilderungen kaum zu ertragen. Auch die Feuerwehrleute haben zu kämpfen. Der Feuerwehrmann, der den Unfall überlebt hat, tritt ebenfalls als Nebenkläger auf. Zwei Monate war er nach dem Unfall im Krankenhaus, bis Februar 2018 war er arbeitsunfähig. Spätfolgen sind wahrscheinlich.

M.s Anwalt bittet um Entschuldigung für das Zuspätkommen seines Mandaten, für den Unfall zunächst nicht. Erst am Mittwoch lässt der Angeklagte eine Entschuldigung an die Angehörigen verlesen. M. nimmt die Schuld auf sich. Er könne nicht ausschließen, am Steuer eingeschlafen zu sein.

Marion Kaufmann

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