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Berlin: Prozesslawine

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wenn Bildungspolitiker über Bildungspolitik reden, kann einem manchmal angst und bange werden. Laien wie unsereiner und die meisten Eltern verstehen oft bloß Bahnhof und hören weg, obwohl das Thema doch so wichtig ist. Im Abgeordnetenhaus wimmelt es von Papieren fleißiger Experten, deren Herrschaftswissen man oft nur mit einem Wörterbuch auf die Spur kommt.

Die Grünen etwa sprechen sich in einem langen Antrag für die Zusammenlegung der Haupt- und Realschule aus. Der erste Satz lautet: „Der Senat wird aufgefordert, in Anlehnung an die Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring die Voraussetzungen für eine optimale Förderung aller Kinder und Jugendlichen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und familiären Situation, zu gewährleisten.“ Schön und gut, aber was heißt Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring? Keine Ahnung, nur so viel: Ein Monitoring ist die Dauerbeobachtung eines bestimmten Systems, hier also des Bildungssystems.

Es kommt noch schöner. Die „gegliederte Schulstruktur in Berlin leistet durch sozial beeinflusste Selektionsprozesse an der Schnittstelle von der Primarstufe zur Sekundarstufe I Tendenzen sozialer Exklusion Vorschub...“ Und weiter: „Das in Hamburg beabsichtigte Aufgehen von Haupt- und Realschulen ... in eine neue Schulform trägt dem Problem hoher sozialer Segregation in Stadtstaaten Rechnung.“ Also laut Duden steht Exklusion „veraltet“ für Ausschließung und Segregation, ebenfalls „veraltet“, für Trennung, oder die Absonderung einer Bevölkerungsgruppe nach Hautfarbe und Religion ist gemeint. Wir haben es übrigens ständig mit Prozessen zu tun, Auswahl schwillt zu Selektionsprozessen, Lernen zu Lernprozessen, Unterricht zu Unterrichtsprozessen.

Doch abgesehen vom Fachchinesisch fallen auch sprachliche Schnitzer auf. Zwei Schulformen gehen nicht in eine neue, sondern in einer neuen Schulform auf. Die CDU hat zur Durchsetzung der Schulpflicht vorgeschlagen, „die Dauer des Schwänzens zu verkürzen, wegen derer eine Schulversäumnisanzeige gestellt werden kann“. Ein seltsamer Satz, nicht wahr, richtig verkorkst. Schulschwänzen soll natürlich möglichst unterbunden und nicht nur die Dauer des Schwänzens verkürzt werden. Außerdem hat das Wort Dauer keinen Plural. Folglich kann, wenn schon von der Dauer des Schwänzens statt von dauerhaftem Schwänzen die Rede ist, höchstens deretwegen, aber niemals wegen derer eine Schulversäumnisanzeige erstattet werden.

Genug der Beispiele, die sich auch andere Fraktionen leisten. Zum Glück taugen Parlamentsanträge sowieso nicht für den Deutschunterricht der Kinder.

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