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Bongile Mantsai und Nakhane Touré im Panorama-Eröffnungsfilm "The Wound".

© Urucu Media

Queere Berlinale-Filme: Spiegel im Spiegel

Bei der Berlinale laufen wieder viele queere Filme in der Konkurrenz um den Teddy-Award. Hier eine Auswahl von Programm-Highlights.

Vor vier Jahren war das halbe Festival verliebt in Gloria aus dem gleichnamigen Film von Sebastián Lelio. Hauptdarstellerin Paulina García gewann sogar einen Silbernen Bären.

Jetzt ist der chilenische Regisseur erneut im Wettbewerb und stellt wieder eine starke Frau ins Zentrum, diesmal allerdings eine deutlich jüngere. Sie heißt Marina und erlebt in „Un mujer fantástica“ einen veritablen Albtraum: Als sie mit ihrem Geliebten Orlando von einer Geburtstagsfeier nach Hause zurückkehren, wird er plötzlich blass – und stirbt kurz darauf im Krankenhaus.

Mit ihrer Trauer um den 20 Jahre älteren Mann ist die Kellnerin und Sängerin allein, denn die Familie von Orlando lehnt sie ab. Seine Noch-Ehefrau schließt Marina sogar von der Beerdigung aus. Dass Orlando sich für eine Trans-Frau entschieden hat, können sie und die meisten anderen nicht begreifen.

Gespielt wird Marina, die sich trotz allem nicht unterkriegen lässt, von Daniela Vega. Die 1989 in Santiago geborene Schauspielerin und Sängerin ist selber trans. Vor drei Jahren spielte sie bereits in „La Visita“ mit, dem ersten chilenischen Spielfilm mit einer Transgender-Hauptfigur.

Mehr Trans*themen auf dem Festival

Die Präsenz von Trans-Themen, Figuren und Akteur*innen ist in diesem Jahr ohnehin erfreulich hoch. So spielt auch in „Karera ga Honki de Amu toki wa – Close-Knit“ der japanischen Regisseurin Naoko Ogigami eine Transfrau eine zentrale Rolle. Rinko und ihr Lebenspartner nehmen dessen elfjährige Nichte Tomo, die von ihrer Mutter verlassen wurde, bei sich auf und geben ihr ein liebevolles neues Zuhause. Das Familiendrama läuft im Panorama, wo queere Filme traditionell einen Focus des Programm sind.

Hier zeigt etwa der kanadische Teddy-Award-Gewinner und Dauerprovokateur Bruce LaBruce seine trashige Satire „The Misandrists“. Angelegt als eine Art Schwesterfilm seines RAF-inspirierten „Rasperry Reich“ erzählt er in dem im Brandenburger Hinterland gedrehten Werk von einer feministische Untergrundgruppe, die sich als Klosterschule tarnt. Unter der strengen Obhut von Big Mother Gertrude (Ulrike Sachsse) bereiten die Frauen einen Umsturz vor. Ihr Ziel: eine männerfreien Gesellschaft. Mit viel Augenzwinkern, Selbstzitaten, Knutsch- und Sexszenen macht sich LaBruce über radikal-feministischen Dogmatismus lustig, feiert aber gleichzeitig ein lesbisches Anarcho-Utopia. Ein vergnüglicher Spagat, mit der Trans-Schauspielerin Kita Updike in einer zentralen Rolle.

Victoire Laly und Serenity Rosa in "The Misandrists" von Bruce LaBruce.
Victoire Laly und Serenity Rosa in "The Misandrists" von Bruce LaBruce.

© Jürgen Brüning Filmproduktion / J.Jackie Baier

„The Misandrists“ ist jedem Fall der lesbischste Spielfilm in der queeren Konkurrenz, die sich ansonsten größtenteils um Schwule dreht. So eröffnet das Panorama parallel zur Gala im Berlinale-Palast mit dem starken südafrikanischen Drama „The Wound“. Darin wird ein junger Schwuler von seinem Vater zu einer traditionellen Beschneidungszeremonie in eine abgelegene Bergregion geschickt, wo er bemerkt, dass sein älterer Mentor ein Verhältnis mit einem seiner Kollegen hat. Wie diese fragile, entfernt an „Brokeback Mountain“ erinnernde Konstellation allmählich aus der Balance gerät, zeigt Regisseur John Trengove auf packende Weise.

Weitere Panorama-Spielfilme mit schwulem Focus sind „God’s Own Country“ des Briten Francis Lee, der US-Mystery-Thriller „Discreet“ von Travis Mathews und Luca Guadagninos „Call Me By Your Name“, das auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman basiert und eine Sommerliebe in Norditalien in Szene setzt. Darüberhinaus schaut Chris Miera in seinem Spielfilm-Debüt „Ein Weg“, das in der Perspektive Deutsches Kino läuft, einem schwulen Paar bei einer Beziehungskrise zu.

Dreitausend Schwule auf einem Kreuzfahrtschiff

Ein Passagier auf dem schwulen Kreuzfahrtschiff in Tristan Ferland Milewskis Dokumentation "Dream Boat".
Ein Passagier auf dem schwulen Kreuzfahrtschiff in Tristan Ferland Milewskis Dokumentation "Dream Boat".

© Gebrueder Beetz Filmproduktion

Die meisten Schwulen, rund 3000, sind in Tristan Ferland Milewski Dokumentation „Dream Boat“ dabei – als Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs. Eine Woche lang genießen sie Sonne, Partys und Meer. Für einige, etwa den in Dubai lebenden Inder Dipankar, ist es ein Ort lang ersehnter Freiheit. Doch bald merkt er, dass die schwule Party-Gemeinde ihre eigene einschränkenden Regeln und Ideale hat.

Einen Blick auf die Geschichte der Schwulenbewegung wirft Jochen Hick in „Mein wunderbares West-Berlin“, eine Fortschreibung seiner Doku „Out in Ost- Berlin“ von 2013. Diesmal trifft der Hamburger Filmemacher unter anderem einstige Mitglieder der 1971 gegründeten Gruppe „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW), die Proteste gegen den Paragrafen 175 organisierte und aus deren Umfeld viele teils bis heute bestehende Institutionen wie das Schwule* Museum oder der Prinz Eisenherz-Buchladen hervorgingen.

Ein alter Videomitschnitt gibt Einblick in eine HAW-Gruppendiskussion („Du dusselige alte Schnecke!“), ein SFB-Bericht spiegeln das Klima der Zeit, in dem Strichjungs als „unverbesserliche Parasiten der Gesellschaft“ bezeichnet wurden. Es entsteht ein guter Überblick über die West-Berliner Szene der Siebziger und Achtziger, wobei Lesben nur am Rande vorkommen. Dafür ist Hick bei der Auflösung einer Männerkommune in Schöneberg dabei, die rund 40 Jahre existierte und in der auch Panorama-Chef Wieland Speck gewohnt hat. Unsentimental kramt er in alten Filmrollen, freut sich, in Zukunft nur für sich selbst einkaufen zu gehen und findet scharfe Worte gegen die gegenwärtige Gentrifizierung Berlins.

Roshell Terranova in Camila José Donosos "Casa Roshell".
Roshell Terranova in Camila José Donosos "Casa Roshell".

© Berlinale

Eine weitere sehenswerte Dokumentation im Panorama ist „Small Talk“. Die taiwanesische Regisseurin Hui-chen Huang versucht darin, sich ihrer verschlossenen Mutter Anu zu nähern. Diese war in den Siebzigern jung zur Ehe gedrängt worden, bekam zwei Kinder, verließ dann ihren gewalttätigen Mann und zog die Mädchen allein auf. Seither hatte Anu nur noch Beziehungen mit Frauen, von denen Hui-chen Huang einige interviewt. Die Geschwister der Mutter kommen ebenfalls zu Wort, sie selbst führt ein langes, kaum zu ertragendes Gespräch mit ihr – keine Spur vom titelgebenden Small Talk. Es entsteht das unscharfe Bild einer Frau, die sich zwar ein Stück Freiheit in einer konservativen Gesellschaft erkämpft hat, das aber mit einer inneren Verhärtung bezahlt, unter der auch ihre Tochter leidet.

Die Männer schminken sich - das selbst geschaffene Bild zählt

Um ein kleines Stück Freiheit geht es auch in „Casa Roshell“ von Camila José Donoso, der komplett in dem gleichnamigen Club in Mexico-Stadt gedreht wurde. Hier können Männer in Drag auftreten und Trans-Frauen sie selber sein. Es gibt Shows, Workshops und einen Darkroom. Zu Beginn sieht man in langen Einstellungen einigen Besucher*innen beim Schminken, Rasieren und Umziehen zu. Oft nimmt die Kamera die Spiegel auf oder filmt sogar Spiegel im Spiegel – Identität als Vexierspiel, Grenzen verschwimmen. Das selbst geschaffene Bild zählt. Die Regisseurin unterstreicht das Illusionsspiel dadurch, dass sie dokumentarische und gestellte Szenen mischt.

Die Casa Roshell ist ein Raum der Selbstbehauptung und Ermutigung. Den Gästen, die dort bei der Hausherrin lernen, möglichst anmutig auf ihren High Heels zu stöckeln, ist zu wünschen, dass sie irgendwann auch tagsüber mal ihr wahres Ich zeigen können.

Das gesamte Teddy-Programm der Berlinale 2017 findet sich hier.

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