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Der Kartograf und Historiker Gerd Gauglitz in seinem Atelier in Kreuzberg.

© Stefan Jacobs

Randvoll mit Überraschungen: Dieser besondere Stadtplan zeigt Berlins echte Proportionen

Die Stadtpläne von Gerd Gauglitz sind ideale Weihnachtsgeschenke. Das neueste Werk zeigt, wie erstaunlich klein manche Wahrzeichen sind – und wie riesig andere.

Gerd Gauglitz hat anstrengende Monate hinter sich. Auf dem Titel eines Berlin-Wandplans war noch eine Lücke zu füllen, für die der Kartograf nach guter Stadtplanmacher-Tradition eine typische Berliner Häuserzeile zeichnete. Aus dieser Kleinigkeit wurde etwas Großes: Gauglitz beschloss, einen Stadtplan zu entwerfen, der Berliner Wahrzeichen zeigt – nicht irgendwie passend gemacht für die freien Plätze, sondern alle in demselben Maßstab. Das Ergebnis ist ein großformatiger Aha-Effekt, der selbst alteingesessene Berliner überraschen mag.

Man kann sich von links oben einmal um den Plan herumstaunen, an dessen Rändern Gauglitz 50 steinerne Promis detailgetreu am Computer nachgezeichnet hat. Dass der am linken Kartenrand aufragende Fernsehturm das höchste Gebäude Berlins ist, war klar. Aber dass er in seinem scheinbar schlanken Betonschaft den Wasserturm am Ostkreuz schlucken könnte? Und dass in den wiederum locker der Müggelturm passen würde, der aus Köpenicker Wandersmannessicht riesig wirkt? Aha, oha!

Der Trick ist, dass Gauglitz Bauten nebeneinandergestellt hat, die man sonst nie gleichzeitig sieht. Wie den Bahnhof Alexanderplatz und den Gasometer in Schöneberg. Natürlich ist Letzterer der höhere der beiden Stahlkolosse. Aber dass die Bögen, die die beiden Bahnsteige am Alex überspannen, ganz locker auf der Bodenplatte des Gasometers Platz hätten? Aha, oha!

Ausschnitt aus dem Wahrzeichenplan
Ausschnitt aus dem Wahrzeichenplan

© Edition Gauglitz

Wer genauer hinschaut, kann die S-Bahn-Züge im Bahnhof als Baureihe 480 identifizieren, das einst für die BVG entworfene West-Berliner Modell. Ohne die Grenzen der Druckqualität wäre unter der Lupe auch das Fahrziel Erkner erkennbar, denn die Baureihe 480 fährt auf der S3. Auf seinem großen Computerbildschirm im Atelier kann Gauglitz es zeigen. Er ist ein Pedant, wie es sich für einen guten Kartografen gehört.

Es waren lange Arbeitstage. Aber es hat ja auch so einen Spaß gemacht!

Gerd Gauglitz, Kartograf und Historiker

Am Roten Rathaus – das seine Nachbarn Brandenburger Tor und Kanzleramt auf dem oberen Kartenrand übrigens bei weitem überragt – hat Gauglitz „vielleicht einen langen Arbeitstag“ gesessen, „am Stadtschloss eher drei, also 36 Stunden“. Zwölfstundenschichten also? „Ja, es waren lange Arbeitstage“, sagt er. „Aber es hat ja auch so einen Spaß gemacht!“ Viele Motive hat er am Computer von daruntergelegten Fotos abgepaust, einige hat er mit der Maus frei Hand gezeichnet.

Mehrfach ist er auch durch die Stadt gegondelt, um sich selbst ein Bild zu machen. Vom hinter der Stadtautobahn klemmenden ICC fand er keine Fotos des Sockels. Und Monumente wie der Berliner Dom waren entweder aus großer Distanz aufgenommen oder aus der Nähe mit derart stürzenden Linien, dass sich die Proportion der Laterne auf der Kuppel nicht erschloss.

Insgesamt 50 Wahrzeichen haben es auf die Ränder des Plans geschafft. „Ich hätte mühelos noch eine zweite Garnitur außen herum machen können“, sagt Gauglitz; einmal Unter den Linden rauf und runter hätte gereicht dafür. Aber dann wäre die Arbeit ins Unendliche ausgeufert.

Bei der Auswahl ist Gauglitz nach seinem Bauchgefühl gegangen, das sich aus Prominenz, Schönheit und Charakteristik der Objekte für Berlin ergab. Deshalb haben es beispielsweise auch ein Kreuzberger Gründerzeitblock, der als DDR-Standard bekannte WBS70-Plattenbau, die Stadtbahnbögen und der knallrote Pop-Art-U-Bahnhof Fehrbelliner Platz auf die Karte geschafft. Die Steine im Kreuzberger Wasserfall habe er willkürlich verteilt, die Löcher im „Molecule Man“ am Osthafen dagegen streng nach Vorlage; ebenso die Mosaik-Bauchbinde im Haus des Lehrers am Alex, die Gauglitz voller Respekt als „Hochqualitäts-DDR-Comic“ bezeichnet.

Der Bundespräsident – oder irgendein „Urbanit“?

Gauglitz ist kein Typ, der seine eigene Leistung preist. Aber über die Vorlagen, die ihm sein geliebtes Berlin bietet, kann er sich jederzeit begeistern, wenn er sich in seinem Kreuzberger Atelier über sein Werk beugt: „Der Unterbau der Nikolaikirche – da war Berlin keine hundert Jahre alt!“ Oder übers Frankfurter Tor: „Das liebe ich ja!“ Architekt Hermann Henselmann habe sich bei der Gestaltung der Türme an Entwürfen für die Dome auf dem Gendarmenmarkt orientiert. Solches Detailwissen findet sich auch auf dem Beiblatt. In vielen der Beschreibungen klingt Gauglitz’ Wertschätzung durch.

Mit gutem Willen und noch besseren Augen lässt sich im Eingang von Schloss Bellevue die Silhouette von Frank-Walter Steinmeier erkennen. Oder ist es doch nur irgendeiner dieser „Urbaniten“, wie die Figuren in Architektursimulationen nach Auskunft von Gauglitz heißen? Es darf sein Geheimnis bleiben – genau wie das Motiv auf seiner ganz persönlichen East Side Gallery. Programmierer würden es „Easter Egg“ nennen.

Obwohl der einheitliche Maßstab die Karte so besonders macht, weiß Gauglitz ihn auf Anhieb gar nicht. Dem knapp 32 Zentimeter hohen Fernsehturm zufolge liegt er um 1:1150. Was Gauglitz wichtiger ist: „Es war eine tolle Lebensphase, in der ich mich da so reingesteigert habe.“ Und was für Berlin-Fans oder deren Bekannte wichtig sein kann: Endlich gibt es mal wieder eine Geschenkidee, die weder ein schwerer Wälzer noch geistloser Touristenkitsch ist.

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