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„Zu dem stehen, was gewesen ist“: Hans-Martin Brehm ist Pfarrer in der Martin-Luther-Gedächtniskirche, in der bis 1945 eine Hitler-Büste stand.

© Georg Moritz

Rassismus und Nationalsozialismus: Spuren im Stadtbild

Hinterlassenschaften von Rassismus und Nationalsozialismus lassen sich bis heute in Berlin finden – ebenso wie Menschen, die sich dagegen engagieren.

Gegen die Kälte, die in den Wintermonaten durch die Mauern der Mariendorfer Martin-Luther-Gedächtniskirche in der Riegerzeile kriecht, helfen Decken. 100 Stück hat Pfarrer Hans-Martin Brehm vor kurzem gekauft, ein türkisfarbener Stoffhaufen, der sich an einem Sonntagvormittag im Januar in der Seitenkapelle der Kirche stapelt. Ein paar Schritte entfernt von der Stelle, an der bis 1945 ein Relief von Adolf Hitler die Besucher empfing. Gegen die Hinterlassenschaften aus dieser Zeit, die sich bis heute überall in der Kirche finden lassen, helfen keine Decken. Aber Diskussionen.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten jährt sich dieser Tage zum 80. Mal. Spuren von Rassismus und Nationalsozialismus lassen sich bis heute im Berliner Stadtbild finden – ebenso wie Menschen, die sich dagegen engagieren.

Brehms Kirche ist deutschlandweit einmalig. So seien zwar in der Zeit des dritten Reiches fast 800 Kirchen im deutschen Reich gebaut worden, sagt Brehm, kariertes Hemd, Lederjacke, dunkler Bart. Aber nur in der Martin-Luther-Gedächtniskirche, die im Dezember 1935 eingeweiht wurde, sind die Spuren der Vermischung von Kirche und Nationalsozialismus noch bis heute deutlich erkennbar. Natürlich: Die Hitler-Büste wurde durch ein Relief von Martin Luther ersetzt. Und auch die Hakenkreuze unter den Klauen der Reichsadler wurden nach Kriegsende aus dem den Altarraum umspannenden Triumphbogen gemeißelt.

Ansonsten aber ist die Kirche „ein Ort, an dem man praktisch und präzise beobachten kann, wie es damals ausgesehen hat“, sagt Brehm – und meint beispielsweise den Stahlhelmsoldaten, der auf dem Kanzelrelief neben Jesus steht.

Nur ein paar Kilometer von Brehms Kirche entfernt liegt Berlins wohl derzeit meistdiskutierte Straße: die Treitschkestraße, benannt nach dem Mann, der einst den Satz „Die Juden sind unser Unglück“ schrieb. Eine Umbenennung der Straße lehnten die Anwohner kürzlich ab. Erledigt ist das Thema für den Historiker Dieter Fitterling damit aber noch lange nicht. „Entscheidend ist, dass die Diskussionen nicht abreißen“, sagt der 77-Jährige, der seit Jahrzehnten historische Stadtrundgänge durch Steglitz und Kurse zur Geschichte der Juden im Berliner Süden an der Volkshochschule anbietet.

Für seine Bildungsarbeit erhielt Fitterling, der lange Jahre das sozialdemokratische August-Bebel-Institut in Berlin leitete, vor einigen Jahren das Bundesverdienstkreuz. In Steglitz zählt die Errichtung der Spiegelwand in Erinnerung an die ermordeten Juden des Viertels zu Fitterlings größeren Erfolgen. 1995 wurde das Denkmal nach langem Streit in der Bezirksverordnetenversammlung auf dem Hermann-Ehlers- Platz aufgestellt.

Und die Bezirksverordnetenversammlung ist es auch, die der Historiker bei der Debatte um die Treitschkestraße in der Pflicht sieht. „Die Frage, nach welchen Menschen wir Straßen benennen oder eben nicht benennen, ist ein Kampf um die Köpfe der Menschen“, sagt Fitterling.

Das dürfte Jürgen Karwelat ähnlich sehen. Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich der Jurist, nebenbei Parteimitglied der Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf, in der Berliner Geschichtswerkstatt. Hervorgegangen aus der Alternativszene der 70er Jahre, hat der Verein heute rund 70 Mitglieder, die mit ihren Beiträgen die Bildungsarbeit des Vereins finanzieren. Mehr als 100 Berliner Straßennamen stammen aus der NS-Zeit, sagt Karwelat. Darunter auch auf den ersten Blick unverfängliche Straßen wie beispielsweise die 1939 umbenannte Spanische Allee in Zehlendorf, mit der die Nationalsozialisten die Legion Condor und ihre Unterstützung der spanischen Faschisten feierten. Seit 1998 immerhin gibt es an der Spanischen Allee den Guernicaplatz – in Gedenken an die Stadt, die die Flugzeuge der Legion Condor in Schutt und Asche legten.

Pfarrer Hans Martin Brehm arbeitet seit 1983 als Pfarrer in der Gemeinde. Zu der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gehören auch Gedenkgottesdienste an die Befreiung von Auschwitz und an die Pogromnacht, die Brehm seit mittlerweile mehr als zehn Jahren in der Kirche abhält. „Wir müssen zu dem stehen, was damals gewesen ist“, sagt Brehm.

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