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Rauchen: Aufstand gegen wildes Qualmen - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren planten das Forum Rauchfrei und der Nichtraucherbund eine Volksinitiative. Der Senat dagegen sah keinen weiteren Handlungsbedarf. Was Sabine Beikler darüber schrieb.

Von Sabine Beikler

Berlin ist die Hauptstadt der Raucher: Laut Mikrozensus von 2009 greifen 27,2 Prozent der Berliner über 15 Jahre regelmäßig zur Zigarette. Damit liegt die Stadt bundesweit an der Spitze. Nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Bayern, das Rauchen ohne Ausnahmen zu verbieten, erwägen das Forum Rauchfrei und der Nichtraucherbund Berlin-Brandenburg eine Volksinitiative für den „Nichtraucherschutz ohne Ausnahme“, sagte Johannes Spatz, Sprecher des Forums, dem Tagesspiegel. Die Initiativen wollen den Nichtraucherschutz im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl thematisieren.

Nach der Novellierung des Nichtraucherschutzgesetzes im vergangenen Jahr habe sich in Berlin „Wildwuchs in der Gastronomie mit Wissen der Verwaltung“ breitgemacht, kritisierte Spatz. Die Ausnahmeregelungen seien in den Bezirken schwer zu kontrollieren. Seit Inkrafttreten des novellierten Nichtraucherschutzgesetzes im Mai 2009 sind Zigaretten in Einraumkneipen erlaubt, die als Rauchergaststätten gekennzeichnet sind, nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügen, kleiner als 75 Quadratmeter sind, keine zubereiteten Speisen anbieten und in denen Minderjährige keinen Zutritt haben.

Wirte müssen bei den zuständigen Gewerbeämtern anmelden, wenn sie ihr Lokal als Rauchergaststätte betreiben wollen. Nach Angaben der Senatsgesundheitsverwaltung sind in Berlin offiziell 636 Rauchergaststätten (Stand Mai 2010) angemeldet worden. Die meisten liegen in Mitte (241) und in Friedrichshain-Kreuzberg (115). Das sind knapp 5 Prozent aller gastronomischen Betriebe der Stadt. Insgesamt gibt es in Berlin laut Industrie- und Handelskammer (IHK) rund 13 000 Restaurants, Cafés, und Bars.

Die Bezirke haben jeweils nur ein bis drei Mitarbeiter, die Lokale kontrollieren können. Bei festgestellten Verstößen werden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. 2009 hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg 167 Verstöße geahndet, berlinweit waren es 1236.

Andere Bezirke wie Neukölln verzichten dagegen ganz auf Kontrollen. „Wir haben dafür kein Personal, nicht anlassbezogene Kontrollen durchzuführen“, sagte Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Bei mehr als 2000 Kneipen sei es „völlig unmöglich“, jede einzelne zu überwachen. Dass in seinem Bezirk die größte Zigarettenfabrik Deutschlands produziere, habe damit „absolut nichts zu tun“, betonte Buschkowsky. Philip Morris stelle rund 220 Millionen Zigaretten pro Tag her, und „nur ein Bruchteil davon wird in Neukölln geraucht“.

Die Senatsgesundheitsverwaltung sieht derzeit keinen Handlungsbedarf, das Nichtraucherschutzgesetz zu verschärfen. Nach den Klagen von Gastronomen hatte das Bundesverfassungsgericht 2008 Ausnahmen vom absoluten Rauchverbot zugelassen. „Wir haben jetzt ein verfassungskonformes Gesetz“, sagte Behördensprecherin Marie-Luise Dittmar. In der Praxis habe sich das Gesetz bewährt, sagte Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. „Das Rauchen ist in räumliche Nischen zurückgedrängt worden“, sagte Gaebler, selbst Nichtraucher und Miteigentümer einer Gaststätte. Auch der CDU-Gesundheitspolitiker Mario Czaja und FDP-Wirtschaftspolitiker Volker Thiel sind mit der aktuellen Regelung in Berlin zufrieden. Einzig die Grünen würden eine Volksinitiative begrüßen. „Wir halten den kompletten Nichtraucherschutz für richtig“, sagte Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop.

Für eine Volksinitiative werden 20 000 Stimmen benötigt. Sie richtet sich an das Parlament, das sich damit befassen muss. Im Gegensatz zum Volksbegehren oder Volksentscheid können Gesetzesänderungen aber nicht direkt erwirkt werden.

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren".

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