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Lokalrunde. Die Nichtraucheraktivisten Wolfgang Behrens (li.), Johannes Spatz und Laura Hoffmann.

© Tzscheuschner

"Frische Luft für Berlin": Rauchverbots-Missionare mit langem Atem

Die Volksinitiative "Frische Luft für Berlin" fordert ein strengeres Rauchverbot und will ihr Anliegen zum Wahlkampfthema machen. Unterwegs mit drei Aktivisten in der Raucherhochburg Neukölln.

Da steht es. In schwarzen Buchstaben auf die Hauswand gesprüht: „Berlin stinkt.“ Aus dem Fenster einer Kneipe gleich daneben weht Zigarettenrauch. Laura Hoffmann bleibt stehen, macht ein Foto von dem Graffiti – und von Johannes Spatz, der ironisch grinst. Wolfgang Behrens ist nicht mit im Bild, er sieht aus, als fühle er sich nicht ganz wohl: „Das hier ist nicht so meine Gegend, ich bin aus Lichtenrade“, sagte er und lächelt unter seinem grauen Schnurrbart hervor.

„Das hier“ ist die Weserstraße in Neukölln und Hoffmann, Spatz und Behrens sind auf einem Kreuzzug gegen den Gestank. Genauer: gegen Zigarettenrauch. Sie sind Sprecher der Volksinitiative „Frische Luft für Berlin“ und kämpfen für ein absolutes Rauchverbot. Ihr Vorbild ist Bayern, das den Nichtraucherschutz nach einem Volksentscheid im Juli 2010 erheblich verbesserte. „Minigesetz und Ausnahme-Mischmasch“ nennt Hoffmann das geltende Berliner Nichtraucherschutzgesetz. Rund 100 Berliner würden sich aktiv für die Initiative engagieren. Und insgesamt 500 Mitglieder haben die drei Organisationen, deren Sprecher Hoffmann, Behrens und Spatz sind: der Verein Pro Rauchfrei, der Nichtraucherbund und das Forum Rauchfrei. 28 000 Unterschriften für eine Verschärfung des Gesetzes haben sie gesammelt und vor kurzem an Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper (SPD) übergeben. Innerhalb der nächsten vier Monate muss sich das Landesparlament mit ihrem Anliegen befassen. Doch die Volksinitiative – wie das Volksbegehren ein Instrument der direkten Demokratie – will auch den bevorstehenden Wahlkampf nutzen, um Druck auf die Politik zu machen: „Wir wollen, dass sich die Parteien dazu positionieren. Das haben die meisten bis jetzt noch nicht getan“, sagt Spatz, der selbst Grünen-Mitglied ist.

„Wir machen Lobbyarbeit“, sagt Behrens, „wie die Tabakindustrie – nur mit weniger Geld“. Und das sei in Neukölln, wo Philip Morris jährlich rund 60 Milliarden Zigaretten produziert, besonders wichtig, sagt Spatz. „Neukölln ist die Hochburg des Rauchens.“ Der 68-Jährige hat sämtliche Statistiken im Kopf: „31 Prozent der Neuköllner über 15 Jahren rauchen. Das ist der höchste Prozentsatz von allen Berliner Bezirken.“ Und Berlin ist im Vergleich mit den anderen Bundesländern an der Spitze der Raucherstatistik. „Hier in Neukölln sind auch die Folgen am schlimmsten“, sagt Spatz, der Medizin studiert hat. „Der Anteil der vorzeitigen Todesfälle durch Lungenkrebs liegt bei fast 34 Prozent. In Steglitz-Zehlendorf sind es nur 16 Prozent.“ Von dort kommen auch Johannes Spatz und Laura Hoffmann.

Die Weserstraße ist seit einiger Zeit eine der angesagten Feiermeilen der Stadt. Wer abends hier spazieren geht, könnte glauben, dass die Statistiken noch untertreiben. Die drei Nichtraucher-Aktivisten sind nicht zum ersten Mal hier unterwegs. Vor einiger Zeit haben sie die Kneipen im Kiez angesehen, um zu prüfen, wie es um den Schutz für die Nichtraucher bestellt ist. Das Fazit: „In 20 von 25 Gaststätten wurde geraucht. Es tut mir in der Seele weh“, sagt Spatz. Viele Kneipen sind kleiner als 75 Quadratmeter und haben sich zu Raucherlokalen erklärt. Das Gesetz lässt das zu. Die größeren haben je einen Raucherraum eingerichtet, aber in die meisten führen nur provisorische Türen oder sie sind geöffnet. Ähnliches haben die drei in anderen Bezirken beobachtet.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt auf den ersten Blick eine Studie des Deutschen Herzforschungszentrums: 80 Prozent der Berliner Gaststätten seien rauchfrei, heißt es dort. Doch die Tester des Forschungszentrums waren nur in Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg unterwegs. „Von den Landeshauptstädten, in denen Ausnahmeregelungen gelten, hat Berlin den höchsten Anteil an rauchfreien Gaststätten“, lautet das Fazit der Studie. Die Forscher stellten jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Bezirken fest: „Die gehobene Gastronomie in Mitte, im Regierungsviertel, Unter den Linden und an der Friedrichstraße ist zu großen Teilen rauchfrei. Dagegen sind viele Eckkneipen in den ärmeren Stadtbezirken nach wie vor verraucht.“

Und das sei noch nicht alles, sagt Laura Hoffmann: „Selbst Kneipen, die rauchfrei sind, stellen nach 22 Uhr Aschenbecher auf. Die wissen, das dann keine Kontrolleure vom Ordnungsamt mehr auftauchen. Und Clubs, die erst nach 22 Uhr aufmachen sind jenseits von Gut und Böse.“ Die 39-jährige Tanzpädagogin und ehemalige Balletttänzerin sagt, sie würde gern mal wieder Tanzen gehen – ins Berghain oder in den Kitkat-Club. Aber wegen des Rauchs komme das nicht infrage: „Ich weiß nicht, wie ich das früher ausgehalten habe.“ Mit Anfang 20 arbeitete sie in Kneipen und Diskotheken. Auch der 71-Jährige Behrens hat während seines Studiums in „Nachtclubs“ gearbeitet – und selbst geraucht. Und Spatz erzählt, das er als 15-Jähriger ein halbes Jahr lang ebenfalls Gefallen an Zigaretten fand. Laura Hoffmann rümpft die Nase.

Spatz ist beim Gang durch die Weserstraße immer der Erste, der in die Bars stürmt – freundlich lächelnd, aber wie ein Jagdhund, der eine Spur gewittert hat. Der Mediziner hat eine Mission, ihm geht es um die Gesundheit der Menschen: „Wenn sie so ein Giftgemisch an einem anderen Arbeitsplatz hätten, würde der sofort geschlossen. Und die junge Dame da am Tresen bekommt das voll ab“, sagt er und zeigt in eine verrauchte Bar.

Spatz hat viel Erfahrung mit Kreuzzügen im Namen der Gesundheit, als Gesundheitsstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf und später bei der Planleitstelle für Gesundheit: Er kämpfte gegen krebserregende Reinigungsmittel und Asbest in Schulgebäuden und machte das Gesundheitsamt im Bezirk in den Achtzigern zum ersten, in dem nicht mehr geraucht werden durfte: „Das war eine richtige Revolution damals.“

Vor allem dürfe auf Kinderspielplätzen nicht mehr geraucht werden, sagt Spatz. Das ist ihm besonders wichtig. Dazu gibt es in Berlin noch keine einheitliche Regel. „In Neukölln ist es nicht verboten,“ sagt Hoffmann. Schon wieder Neukölln – und da kommt noch mehr: „Die sind hier unheimlich lahmarschig mit den Bußgeldern“, sagt Spatz. „Das Ordnungsamt kontrolliert nicht viel.“ Tatsächlich wurden in Neukölln 2010 die meisten Beschwerden von Bürgern gegen das Nichtraucherschutzgesetz in ganz Berlin registriert: 135. Doch das Ordnungsamt verhängte nur 63 Bußgelder in Höhe von 4500 Euro – ein Bruchteil der fast 123 000 Euro, die Wirte in ganz Berlin im vergangenen Jahr in 700 Fällen zahlen mussten.

Auch viele Wirte hätten für die Volksinitiative unterschrieben, sagt Laura Hoffmann. „Auch in der Weserstraße.“ Behrens erklärt das: „Die derzeitige Ausnahmeregelung ist ja auch wettbewerbsverzerrend: Mit 75 Quadratmetern dürfen sie Raucherkneipe werden, der Nachbar mit 76 Quadratmetern nicht.“ Sogar Raucher hätte sie zum Unterschreiben bewegen können, sagt Hoffmann, und Behrens fügt hinzu: „Wir haben ja auch nichts gegen Raucher, nur gegen den Rauch.“ Und wenn die Volksinitiative trotz allem scheitert? „Dann fangen wir wieder vor vorn an mit dem Unterschriftensammeln – für ein Volksbegehren.“

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