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Berlin: Raum der Stille

Seit zehn Jahren ist die Neue Wache Gedenkstätte aller Deutschen – und löst gemischte Gefühle aus

Vormittags weicht das Halbdunkel des Ortes einer fast unwirklichen Helle. Die Sonne steht so niedrig, dass ihre Strahlen genau zwischen Karl Friedrich Schinkels Säulen tief in die Neue Wache fallen. Es ist, als führe ein goldener Teppich direkt zu der Plastik der trauernden Mutter mit ihrem toten Sohn, und wer sich in den Eingang stellt, findet seinen überlebensgroßen Schatten auf dem Weg zur Pietà. Deutlich stehen die sechs Worte am Fuß der Plastik im grellen Licht: „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“.

Heute vor zehn Jahren wurde die Neue Wache Unter den Linden nach knapp einjährigem Umbau wiedereröffnet. Damals gab es nicht nur Zustimmung, sondern eine Fülle kontroverser Meinungen (siehe Kasten unten). „Schinkels erstes bedeutendes Bauwerk war das erste Gebäude des preußischen Staates nach den gewonnenen Befreiungskriegen und ist nun, nach der Wiedervereinigung, das erste repräsentative Gebäude der Bundesrepublik in der Hauptstadt Berlin“, sagt Peter Dörrie. Der Projektleiter der Neugestaltung empfindet „auch noch nach zehn Jahren Ergriffenheit und eine Aufforderung zum Nachdenken“, wenn er vor der schmerzvollen Plastik der Käthe Kollwitz steht. „Dies ist eine würdevolle Stätte der Besinnung“, sagt der Architekt, und viele Besucher teilen seine Meinung.

„Würdig schon, und zudem ein Ort der Stille“, findet ein Ehepaar aus Westfalen, „die Schrift sagt alles, und gerade in diesen Tagen geht einem hier vor dieser Plastik einiges durch den Kopf“. Die Besucher, Touristen zumeist, verharren zunächst am Eingang, ehe sie bis vor die Bronzeplastik gehen, um kurz darauf die neun Meter hohe Halle mit dem beim Umbau frei gelegten Fußboden aus schwarzem Basalt vom letzten Architekten Heinrich Tessenow wieder zu verlassen. „Die Plastik unter dem klaren Himmel ist sehr eindrucksvoll, aber soll das denn alles sein?“, fragt eine Berlinerin. Sie vermisst „zum Beispiel die ewige Flamme, die bis 1993 den gläsernen Würfel lodernd belebte“. „Das lebte früher, jetzt ist es tot“, sagt ein anderer Besucher und möchte wissen, ob wir denn so arm seien, dass nicht einmal ein Blumenstrauß die Opfer ehrt? Oder dass an Ort und Stelle auf die Urnen mit der Asche des „Unbekannten Soldaten“ und des „Unbekannten KZ-Häftlings“ verwiesen wird, die ja noch im Zentrum der Gedenkstätte ruhen.

Wenn Blumen vor der Plastik liegen, werden sie von Besuchern mitgebracht, sagt der Wachmann, den das Deutsche Historische Museum bei einem privaten Aufsichtsdienst engagiert, weil es die „Geschäftsbesorgung“ für das zuständige Innenministerium übernommen hat. Mit einer kleinen Uhr wird der Besucherstrom gezählt – 753 000 kamen im Jahr 2002. „Ein privater Wachdienst für die nationale Gedenkstätte – das gibt es auf der ganzen Welt nicht“, sagt ein Besucher. Die Deutschen gedenken zivil.

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