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Im Gedenken an die von ihrem Ehemann ermordete Zohra Mohammad Gul protestieren etwa einhundert Menschen in Berlin-Pankow gegen Femizide.

© ullstein bild / snapshot-photography

Reaktion auf massive Aggressionen: Das „Gentle Project“ soll Gewalt in Berliner Flüchtlingsunterkünften eindämmen

Immer wieder werden Männer in Flüchtlingsunterkünften gewalttätig. Psychosoziale Berater, die selbst geflüchtet sind, zeigen ihnen Wege zu einem konfliktfreien Leben.

87 Mal sind 2022 in Flüchtlingsunterkünften, die vom Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) betrieben werden, Hausverbote ausgesprochen worden. 25 sind es seit Jahresbeginn – Grund: Gewalt von Männern. Auch der Afghane, der im April 2022 in Pankow seine Frau, Mutter von sechs Kindern, niederstach und tödlich verletzte, hatte Hausverbot.

Die Senatsverwaltung für Integration und das LAF wollen diese Gewalt eindämmen und aggressiven Flüchtlingen Wege zu einem konfliktfreien Leben zeigen. Ihre Antwort auf das Problem: das „Gentle Project“.

Die Berater sprechen in der jeweiligen Landessprache mit den Flüchtlingen

Im Kern arbeiten dabei vier psychosoziale Berater – zwei Männer, zwei Frauen –, die teilweise selber als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, mit den Heimbewohnern. Das Ganze in der jeweiligen Landessprache, das schafft Vertrauen. Die Berater können aus ihren eigenen Erfahrungen berichten.

87
Hausverbote wegen Gewalt hat es 2022 in Berliner Flüchtlingsunterkünften gegeben.

Nach einer Pilotphase ist das Projekt seit Januar – erstmal bis Jahresende – fest etabliert, von der Sozialverwaltung mit 125.000 Euro finanziert. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hat am Montag eine Bilanz der ersten Monate gezogen, zusammen mit Mitarbeitern der Organisation Ipso, die mit den Flüchtlingen arbeitet. Im Fokus: arabische und afghanische Menschen.

Viele Männer haben ihre traditionelles Rollenbild verloren

In den Gruppen- und Einzelgesprächen tauchen Männer auf, die ihr traditionelles Rollenbild als Ernährer der Familie und damit bestimmende Person verloren haben und ihr Gefühl von Bedeutungslosigkeit mit Aggressionen kompensieren. Oder Männer, die mit dem Alltagsleben in Deutschland überfordert sind und keine Struktur entwickeln.

Aber auch mit Frauen arbeitet Ipso. Die sollen ihre Rechte kennenlernen und Selbstbewusstsein entwickeln. Eine Ipso-Beraterin aus Syrien sagte am Montag: „In unserer Kultur lernen Frauen, dass Männer in Diskussionen immer recht haben. Wir zeigen ihnen, dass auch sie mal im Recht sind.“ Und Ipso-Psychologe Lothar Dunkel ergänzte: „Wir wollen nicht, dass Frauen die Gewalt, die selber erfahren haben, an ihre Kinder weitergeben.“

Die Ipso-Berater sprechen Flüchtlinge in den Unterkünften gezielt an. Die Teilnahme an den Gesprächen und Gruppensitzungen ist freiwillig. Bis jetzt haben 91 Frauen und 85 Männer, davon 34 mit Gewalthintergrund, an den Sitzungen teilgenommen. Und die Rückmeldungen, sagt Ipso-Berater Ahmad Chahabi aus dem Libanon, seien sehr gut. „Nach der fünften Sitzung hat ein Teilnehmer gesagt, dass er unbedingt weitere Treffen möchte.“

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