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Herrenwitz. Hartmut Mehdorn (Mitte) ist ein gern gesehener Gast bei der Berliner Industrie- und Handelskammer. Vier mal war er schon da. Zuvor als Chef der Deutschen Bahn und von Air Berlin. Am Montag frühstückte er kurz mit Hauptgeschäftsführer Jan Eder (links) und Kammerpräsident Eric Schweitzer (rechts). Dann sprach er zu rund 300 Gästen, die seine Rede mit Applaus quittierten. Wirklich kritische Fragen gab es gestern nicht.

© Thilo Rückeis

Update

Rede des BER-Chefs: Hartmut Mehdorn und der "Aufpreis für Demokratie"

Bei seiner ersten große Rede verteidigt Flughafenchef Mehdorn die Politiker – und präsentiert sich als Freund der Bürgerbeteiligung.

Berlin - Hartmut Mehdorn mag das Format. Das „Wirtschaftspolitische Frühstück“ der Berliner Industrie- und Handelskammer bedeutet für ihn: Heimspielatmosphäre. 300 geladene Gäste aus Wirtschaft und Politik, darunter viele Herren, ein paar Damen, wenige bis keine Querulanten. So war Hartmut Mehdorn am Montag schon zum vierten Mal Gastredner dieser Veranstaltungsreihe. Als Bahn-Chef war er schon da, vor gut einem Jahr als Air-Berlin-Chef – was den Zuhörern schon großen Unterhaltungswert bot – und nun als Chef der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, man könnte auch sagen: als BER-Chef.

Es war nach gut 100 Tagen im Amt seiner erste Rede in einer größeren Öffentlichkeit. Bisher hatte sich Mehdorn nur den Fragen von Mitgliedern des Abgeordnetenhauses, des Potsdamer Landtages und des Bundestages gestellt und ihnen erklärt, wie er sich den Fortgang auf Deutschlands größter Krisenbaustelle in Schönefeld vorstellt. Da hatte er auch immer wieder gegen Politiker geschossen, stellte sogar seine Kontrolleure bloß, die Aufsichtsräte Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (beide SPD). Wer mehr davon erwartete, wurde enttäuscht. Mehdorn war aufgeräumt, seine Rede milde im Ton – und doch für manche Ohren ungeheuerlich. Seine These: Nicht die Politiker sind verantwortlich, wenn Großprojekte wie BER, Elbphilharmonie oder Stuttgart21 stocken, sondern die Bürger. Beziehungsweise die Demokratie. Damit also alle – aber niemand persönlich.

„Ein Großprojekt hat zunächst einmal einen Preis an sich. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit“, sagte Mehdorn. Man zahle auch einen Aufpreis für Demokratie – Prüfverfahren, Proteste, politische Macht- und Interessenwechsel. Dadurch entstünden Verzögerungen und Mehrkosten. „Das ist der Aufschlag, den wir für die Demokratie bezahlen.“ Die Wirtschaft müsse lernen, gab der 70-Jährige seinen Zuhörern den Rat, diese Mehrkosten für Bürgerbeteiligung von Anfang an einzurechnen. Früher habe man Planungen für Projekte irgendwo in einem Rathaus ans Schwarze Brett gehängt, wo es dann nur Bürger, die zu viel Zeit haben, mitbekommen hätten. „Das geht so heute nicht mehr.“

Vor dem Hintergrund griffen Vorwürfe, wie sie etwa vom Bund der Steuerzahler erhoben werden, zu kurz. „Die Leute sind immer happy, wenn sie einen Schuldigen haben“. Tatsächlich aber beweise die Politik beim BER „große Kontinuität“. Es habe viele richtige Weichenstellungen gegeben.

So habe die Politik sich etwa 1996, als die größte Nach-Wende-Euphorie verflogen sei, gegen den Bau eines Riesenflughafens im fernen Sperenberg entschieden und für einen „mittelgroßen Flughafen“ in Schönefeld. Der sei auch nicht zu klein, wie oft behauptet werde. „Das, was wir gebaut haben, reicht noch bis zum Jahr 2025, wenn nicht noch weiter.“ Mehdorn argumentierte, dass am Flughafen Tegel heute sieben mal so viel Passagiere jährlich abgefertigt werden, wie bei der Eröffnung 1974 vorgesehen.

Er zeigte Verständnis für die Politiker im Aufsichtsrat. Mit Platzeck, Wowereit und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) führe er einen „offenen Dialog“, wie er es nennt. „Dass die Gesellschafter mit einem gewissen Misstrauen auf die Flughafengesellschaft blicken, ist klar.“ Die habe in der Vergangenheit Vertrauen verspielt. Kritik gab es dagegen für andere Beteiligte: Architekten etwa. So „kenne und bewundere“ er zum Beispiel Meinhard von Gerkan, der den Flughafen, aber auch den Berliner Hauptbahnhof entworfen hat. Gerkan sei ein „grandioser Architekt mit einem wirklich vorzeigbaren Lebenswerk“, sagte Mehdorn. „Sie dürfen als Bauherr aber den Architekten das Feld nicht kampflos überlassen, sonst laufen einem die Kosten davon.“

Auch seien zu viele Juristen mit der Baustelle befasst. Und mit den Flugrouten. Er setze sich persönlich für den Lärmschutz ein, sagte er, „weil ich der Überzeugung bin, dass die Industrie Verantwortung hat und übernehmen muss für den Lärm, der entsteht“. Mit dem Urteil des Landesverwaltungsgerichtes seien die Lärmschutzwerte aber so streng geworden, dass sie für einen Großteil der Anwohner gar nicht realisierbar seien. Es könne der Flughafengesellschaft also schlimmstenfalls passieren, dass ein Anwohner einfach die ihm zustehende finanzielle Entschädigung nehme, ohne aber Schallschutzmaßnahmen zu verwirklichen. „Das Lärmproblem wäre nicht gelöst, der Ärger bliebe“.

Mehdorn warb für seinen Vorschlag, mit dem er schon am ersten Tag seines Dienstantritts vor gut 100 Tagen Aufsehen erregt hatte: Man solle den Flughafen schrittweise eröffnen. „Wir würden das Ganze gern nach vorne hin entzerren“, erklärte er. Man sei in konstruktiven Gesprächen mit einigen Fluggesellschaften, die derzeit am alten Flughafen Schönefeld operieren – angeblich sind es Easyjet, Condor und Norwegian.

Mitte Juli könne man einen Beschluss fassen, ob diese von Oktober an vom Nordpier des BER starten könnten. Das wäre ein Betrieb mit 2000 bis 10 000 Passagieren und nicht mit 60 000 am Tag. Ein Teil-Umzug hätte auch psychologische Vorteile, argumentierte Mehdorn. So könnte man Flughafenmitarbeiter aus Tegel wochenweise am BER einsetzen und ihnen die Scheu vor dem Standort nehmen. Der Schritt würde zudem den Druck auf alle Beteiligen erhöhen, auch den Rest fertigzustellen. „Das ist wie eine Zahnpastatube. Sie müssen sie hinten aufrollen, damit vorne etwas rauskommt“, sagte der Flughafenchef.

Mehdorn warb erneut dafür, den Standort Tegel vorläufig weiterzubetreiben, auch wenn dies gegen den geltenden Planfeststellungsbeschluss sprechen möge. In dem Punkt nahm er die Politik in die Pflicht, die die damals gefallene Entscheidung den heute geltenden Umständen anpassen müsse.

„Der BER wird ein Schmuckstück. Wir machen jetzt fertig“, rief Mehdorn den Gästen schließlich zu – und bekam dafür, wie in den Jahren zuvor: Applaus.

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