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Die Spuren von 800 Jahren.

© Gunnar North, Landesdenkmalamt

Berlin: Reformator gefunden

Auf der Suche nach frühen Spuren jüdischen Lebens in Berlins Mitte finden die Archäologen statt der Synagoge eine Luther-Kachel.

Muss Berlins frühe Geschichte umgeschrieben werden? Eine irritierende Kachel, die Martin Luther zeigt, ist bei Ausgrabungsarbeiten an der zehnspurigen Grunerstraße gefunden worden. Hier standen bis zum Zweiten Weltkrieg noch Häuser des sogenannten Großen Jüdenhofes. Als sichtbares Zeugnis jenes Ortes, an dem im 13. Jahrhundert mit den ersten Cölner Besiedlern auch Juden lebten, hat sich bis heute nur am Roten Rathaus gegenüber der Name Jüdenstraße erhalten. Das Interesse an einer Spurensuche, die Aufschlüsse über Berlins erste jüdische Ansiedlung bringen könnte, ist heute größer als vor Jahrzehnten. Rudimente einer Synagoge und eines Ritualbades müssten gerade hier unter der Erde zu finden sein: So wird seit Langem vermutet. Seit zwei Jahren buddeln sich Archäologen für das Landesdenkmalamt akribisch durch die Mitte der Mitte. Was sie entdecken, ermutigt zum Weitergraben, korrigiert aber viele Erwartungen.

Dort, wo zwischen dem Stadthaus mit Kuppelturm, der Gruner- und der Jüdenstraße jener umbaute Hof mit 12 Fachwerkhäusern gelegen hat, leitet die Archäologin Anja Grothe das Grabungsprojekt. Sie war zuletzt mit der Freilegung eines Massengrabes aus dem 30-jährigen Krieg bei Wittstock befasst gewesen, diese Aufgabe ist wirklich anders, meint sie: „Hier sind 800 Jahre Stadtgeschichte übereinandergestapelt!“ Sie beschreibt, wie an dieser Stelle im Jahr 1200 ein Baumstumpf mit Wurzeln beseitigt werden musste – und zeigt auf dem Plan der Ausgrabung Hunderte von mittelalterlichen Hack- und Spatenspuren, die darin nun vermerkt sind. Nach der Bombenzerstörung des Blocks im Jahr 1945 hatte das Gelände als Parkplatz gedient. Eine weitere Schicht – ein Glücksfall für die Archäologie: Weil Fundamente alter Häuser nicht durch neue Kelleranlagen beseitigt wurden. Was die Archäologen da erkennen, klingt für Kenner der Berlingeschichte sensationell: Der mittelalterliche Jüdenhof befand sich nicht hier.

Vor der Besiedlung diente dieses Terrain als Gartenland zur Selbstversorgung wohlhabender Bürger von Berlin, das bis dahin nur aus dem heutigen Nikolaiviertel bestand. Erst im frühen 13. Jahrhundert wurden die Parzellen „aufgesiedelt“. In offenen Höfen etablierten sich Handwerksbetriebe. Schweine und Hühner wurden gehalten. Für Händler mit Wagen und Pferd war das eine geeignete Station, 200 Meter entfernt lag der Molkenmarkt. Unter diesen Siedlern an der Jüdenstraße waren Juden. Nicht sicher ist, ob Juden auf dem ausgegrabenen Grundstück lebten. Bei der Beweisführung soll die Auswertung von Tierknochen helfen: Schweinehaltung war in Städten verbreitet, im Müll christlicher Haushalte ist die Menge der Schweineknochen kaum zu übersehen.

Ein zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit viel Keramik zugeschütteter Brunnen aus dem späten 15. Jahrhundert wird gerade ausgenommen. Die Reste von Gefäßen und Ofenkacheln nennt die Archäologin Grothe einen Beleg für „Schöner Wohnen im Spätmittelalter“: Mit Kachelöfen waren die Räume rauchfrei zu beheizen. Im Laufe des 16. Jahrhunderts hat hier offenbar eine wohlhabende protestantische Bevölkerung gelebt, wie der schönste Fund verrät: „Da gräbt man im Großen Jüdenhof und findet den großen Reformator in einer Brunnenverfüllung!“ Auf der Ofenkachel ist Martin Luther mit Doktorhut und Robe zu erkennen, in einem weiß-blau glasierten Triumphbogen.

Die Häuser, deren Grundmauern freizulegen sind, wurden wohl nach dem 30-jährigen Krieg verlassen, sie verfielen. Mit der Gründung des preußischen Königreichs 1701 gab es einen Bauboom, Freiflächen hat man wieder zugebaut.

Diese Entstehungsgeschichte des mittelalterlichen „Jödenhoffs“ ist bis heute vergessen. Dass jüdische Händler am Anfang, bei der Gründung Berlins, eine große Rolle gespielt hatten, bleibt wahrscheinlich. Ihre Toten begruben sie in Spandau, der älteste dort gefundene jüdische Grabstein datiert von 1244. Für die Stadt waren die Juden wichtig, das beweist nicht nur der Name Jüdenstraße. In Bürgerbüchern des 15. Jahrhunderts findet man entsprechende Einträge. Durch die Entdeckung von Fundamenten einer Synagoge und eines Ritualbads, der Mikwe, die um 1300 in Gebrauch waren, würden Archäologen und Historiker gern belegen, welche Bedeutung der jüdischen Minorität bei der Stadtgründung zukam. Das ist bisher nicht gelungen.

Gegeben hat es den mittelalterlichen Jüdenhof zweifellos, durch Kämmereirechnungen aus dem frühen 16. Jahrhundert ist er belegt. In Listen von Ausgaben und Einkünften des Berliner Rats wird ein „Jödenhof“ erwähnt. Der Block grenzte an die Jüdenstraße. Verbürgt ist auch die Existenz einer Synagoge. Im Jahr 1508 trägt der Stadtkämmerer ein: Claus Veger mit der Leier hat dem Rat die Judenschule abgekauft für vier Schock.

Demnach muss es im Jüdenhof eine „Judenschule“, wie die Synagoge genannt wurde, gegeben haben. Allerdings lässt der Eintrag für die Lage Berlins und die der Jüdischen Gemeinde nichts Gutes ahnen. Der Musiker zahlte in Raten. Der Synagogenverkauf legt nahe, dass die jüdische Gemeinschaft sich dramatisch verringerte. 1510 wurden Berlins Juden beschuldigt, Hostien geschändet zu haben, Familien wurden lebendig verbrannt, andere mussten fliehen.

Bis heute vermelden viele Chroniken: „Im Großen Berliner Jüdenhof lebten die Berliner Juden seit dem 13. Jahrhundert.“ Der Name ist ein Beweis; wo genau sie eigentlich wohnten, wie viele und zu welchen Zeiten, scheint derzeit unklarer als zuvor. Falko Hennig

Führungen Jüdenhof: 8.8. und 29.8. jeweils 17 Uhr; 16.8. um 14 Uhr. Treffpunkt: Jüdenstraße

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