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Reportage aus dem Camp: Occupy-Aktivisten hoffen bis zuletzt

Die Occupy-Protestierer sollen ihr Camp im Regierungsviertel am Freitag räumen. Wenn nicht, droht ein Polizeieinsatz. Doch die Aktivisten glauben, dass der Grundstückseigentümer insgeheim mit ihnen sympathisiert

Hinter dem Lattenzaun des Protestcamps dieseln schon die Baumaschinen. Drinnen wird das Feuerholz knapp, es gibt kein Wasser, keinen Strom, aber die kommunistische Fahne vor dem tarnfarbenen Gemeinschaftszelt braucht nur Windkraft. Aus rostigen Ofenrohren steigt Rauch auf. Ein bärtiger Mann sägt Feuerholz und möchte nicht reden. Auf dem Herd steht noch der gefüllte Suppentopf vom letzten Vollversammlungsessen.

Das kleine Zeltdorf von „Occupy Berlin“ am Kapelle-Ufer hat den Winterstürmen standgehalten, doch die Geduld des Grundstückseigentümers, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), ist am Ende. Rund um das Camp haben die Bauarbeiten für einen Neubau des Bundesbildungsministeriums begonnen, der hier bis 2014 entstehen soll. Bis zum Freitagmittag sollen die Besetzer das Gelände räumen. Sonst würden Polizei und Gerichte eingeschaltet.

Ronny aus Bayern trägt einen dicken Pulli mit Google-Logo und Kapuze. Er sucht seine Arbeitshandschuhe im Sand des ehemaligen Bundespressestrandes, wo bis zum Sommer Politiker, Banker und Touristen entspannt an ihren Cocktailgläsern hingen. Nun wird hier unter widrigen Umständen das Überleben geprobt, um ein Zeichen gegen die Geldgier des Finanzsystems zu setzen. Rund 20 Leute würden noch ausharren, sagt Ronny, darunter auch Kinder. Zu Beginn waren es mal 50. Das Ultimatum der Bima empfindet er als unfair. „Wir sind keine herkömmlichen Wegelagerer, sondern ein soziales Netzwerk mit gemeinnützigem Anspruch.“ Über Weihnachten und Silvester hätten sie ein paar Straßenkinder aufgenommen, „inkludiert“, sagt Ronny. Üblicherweise würden Studenten die inhaltlichen Debatten in verschiedenen Arbeitsgruppen dominieren. Ronny kümmert sich eher um den „Selbsterhalt“ der Bewegung.

Das Camp ist heute spärlich besetzt. Die Straßenkinder sind wieder weg, und auch viele Bewohner besuchen tagsüber Freunde, um zu duschen oder sich aufzuwärmen. Ronny, Ende 20, arbeitet in der Reisebranche und ist damit ein eher untypischer Besetzer. Aber untypisch ist hier fast jeder, denn der Protest gegen Banken und Spekulanten eint sehr unterschiedliche Charaktere. Eine Frau aus der Nähe von Köln protestiert in erster Linie gegen die Institution des Jugendamtes. Das Kölner Amt habe ihre drei Kinder ins Heim gesteckt, was sie als groben Eingriff in ihre Grundrechte empfindet.

Hans Martin Fleischer, Wirtschaftswissenschaftler und Mauer-Künstler, hat sich sein Segelboot ins Camp mitgenommen. Der Ofeneinbau in die Kajüte war schwierig, verbessert aber die Arbeitsbedingungen immens. Fleischer agiert unabhängig vom restlichen Camp, kann jederzeit seinen Stromgenerator anwerfen und das iPad hochfahren. Er gehört mit Ende 40 zu den Protestsenioren und empfindet die strukturfreie Organisation des Protestes als ein „bisschen unreif“. „Occupy Berlin“ zerfällt in viele Einzelakteure. Wer mitmachen möchte, ist sofort integriert. „Komplett dezentral“ soll alles laufen, deshalb weiß Ronny auch nicht wirklich, was andere Occupy-Gruppen in Berlin gerade so planen.

Der Vorstandssprecher der Bima war bislang der ranghöchste Besucher im Camp. Deshalb hoffen die Occupy-Leute, die Bima werde erneut nachgeben. Eigentlich würden die Beamten ihr Anliegen doch teilen. Gegen ausufernde Finanzspekulation sei ja fast jeder.

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