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Verfolgt. Richard von Weizsäcker besuchte oft die DDR, privat und beruflich. In 20 Jahren wuchs seine Stasi-Akte auf 1293 Seiten an. Neue Perspektiven auf den Menschen oder Poltiker eröffnet sie nicht.

© Kai-Uwe Heinrich

Richard von Weizsäcker: Als Waldkauz im Visier der Stasi

Bei seinen DDR-Besuchen wurde Richard von Weizsäcker stets beschattet – für die Schnüffler war der Politiker eine Enttäuschung.

Es war ein Haufen Arbeit für die Stasi-Unterlagenbehörde. In den verschiedenen Abteilungen lagerten nicht weniger als 1293 Aktenseiten und 30 Observationsfotos, die allesamt bei der Beobachtung Richard von Weizsäckers in den Jahren 1964 bis 1984 angefallen waren. Jetzt ist das Dossier beisammen, und Weizsäcker selbst hat der Freigabe für die Forschung zugestimmt, wie es die Rechtslage erfordert.

Neue Perspektiven eröffnen sich dadurch nicht, weder auf den Altbundespräsidenten noch auf die Stasi-Beobachter, die ihn während seiner zahllosen Reisen durch die DDR anscheinend nie aus den Augen gelassen haben. Weizsäcker, der sich im Moment nicht in Berlin aufhält, war sich der Aufsicht durch das MfS wohl ständig bewusst.

Wie die „Berliner Morgenpost“ berichtet, erhielt Weizsäcker, Fahndungsobjekt Nr. 160014, den Decknamen „Waldkauz“. Der prominente Bundesbürger hat sich sowohl dienstlich als auch privat häufig in Ost-Berlin und der DDR aufgehalten, sowohl in seiner Zeit als Ratsmitglied der Evangelischen Kirche als auch später als West-Berlins Regierender Bürgermeister. 66 Besuche sind verbürgt, aber die Akten gelten als teilweise unvollständig. Die Überwachung endete erst nach Weizsäckers Wahl zum Bundespräsidenten 1984, die ihm DDR-Besuche naturgemäß unmöglich machte.

Aus dem Dossier geht hervor, dass die Stasi-Spitze ihn als „über der Tagespolitik schwebenden“ Außenseiter einschätzte. Sein Selbstbewusstsein allerdings sei so stark ausgeprägt, dass er sich für geeignet halte, eine CDU-CSU-Bundesregierung als Kanzler zu führen, heißt es darin. In Fragen „antikommunistischer Hetze und Verleumdung“ sei er hingegen zurückhaltend gewesen. Und weiter: Er habe sich während seiner Aufenthalte in der DDR „korrekt“ verhalten und sei von der Bevölkerung wegen seines stets unauffälligen Erscheinungsbilds kaum wahrgenommen worden.

Dennoch protokollierten die Stasi-Spitzel laut Zeitungsbericht akribisch das Verhalten des prominenten Besuchers und notierten sogar Verkehrsdelikte. So soll er am 1. Januar 1982 eine Fußgängerampel bei Rot überquert haben und zwei Wochen später aus einer Geradeausspur mit dem Auto verkehrswidrig abgebogen sein. Der Überwachungsaufwand wirkte zeitweise grotesk: Bei einem Besuch im Dresdner Zwinger wurde „Waldkauz“ von gleich zehn Stasi-Pärchen umzingelt, die als Touristen getarnt waren. Das Ergebnis fiel dünn aus. Frustriert gaben die Schnüffler hinterher auch zu Protokoll, dass beispielsweise die Telefonüberwachung rein gar nichts erbracht habe: Weizsäcker telefonierte nicht.

Das lag ganz offensichtlich daran, dass er zu vorsichtig war und wohl ständig davon ausging, überwacht zu werden. Nur einmal riecht es in den Akten ein wenig nach Agentenroman: Da berichtet das MfS-Protokoll aus dem Hotel „Stadt Frankfurt“, Weizsäcker habe um 23.15 Uhr zusammen mit drei Begleitern sein Zimmer betreten und Radio und Fernsehapparat sehr laut gestellt. Also wieder kein Ergebnis. Denn mehr als die Worte „Seelower Höhen“ und „Oderbruch“ drangen nicht in die Stasi-Wanzen durch.

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