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Roma in Berlin: Immer unterwegs, überall unerwünscht

Niemand weiß, ob die Romafamilien mit dem Rückkehrgeld des Senats abgereist sind. Viele von ihnen kamen aus Westeuropa.

Von Sandra Dassler

Manche Berliner machten sich schon am Donnerstagabend ihre Gedanken. So rief eine ältere Tagesspiegel-Leserin in der Redaktion an, nachdem sie gehört hatte, dass die 106 Roma, die seit Wochen die Gemüter in der Hauptstadt bewegen, das Asylbewerberheim in der Spandauer Motardstraße verlassen hatten: „Draußen ist doch heute Nacht Sturm – wo sind denn die Frauen und Kinder hin?“, fragte sie.

Kein Grund zur Sorge, hieß es gestern aus der Senatsverwaltung für Integration und Soziales. Die Roma hätten jedenfalls nicht im Freien campieren müssen. Einige seien bei Bekannten untergekommen, andere hätten sich gleich nach dem Erhalt des „Rückkehrgeldes“ auf den Weg gemacht. Übrigens nicht unbedingt nach Rumänien, sagte die Berliner Leiterin der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA), Britta Kollberg: „Die Roma stammen zwar größtenteils aus Rumänien, viele von ihnen leben aber seit Jahren in Westeuropa, zum Beispiel in Spanien und England. Weil sich dort wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise die Arbeitsmarktsituation verschlechtert hat, sind sie nach Berlin gekommen.“

Das bestätigte der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening: „Viele Roma haben beispielsweise in Spanien in der Landwirtschaft gearbeitet“, sagte er. „Wegen der Krise machen das jetzt arbeitslose Spanier. Ähnlichen Druck gibt es in auch in anderen Ländern.“

Hinzu kommt nach Einschätzung von Piening und Kollberg, dass die ökonomische Situation in den ursprünglichen Heimatländern der Roma – nicht nur Rumänien, sondern auch Ungarn und die Staaten des früheren Jugoslawien – immer schwieriger wird. Das befördere die in Osteuropa ohnehin verbreiteten Ressentiments gegen Roma – ein zusätzlicher Grund für diese, nicht unbedingt zurück in ihre Herkunftsländer zu reisen.

Ressentiments gegen Roma gäbe es allerdings auch in Deutschland, beklagen die sogenannten Unterstützer der Familien. Sie sprechen von einem „humanitären Drama“ und unterstellen, dass die Roma durch massive Polizeigewalt so eingeschüchtert wurden, dass sie schließlich das Geld nahmen und das Heim in Spandau räumten. Die Internationale Liga für Menschenrechte warf den Berliner Behörden vor, die „Familien bei Wind und Regen der Obdachlosigkeit ausgesetzt zu haben – darunter Kinder, Kranke, Schwangere.“

RAA-Chefin Kollberg und der Integrationsbeauftragte Piening halten diese Vorwürfe für überzogen. Die Behörden hätten mittels Mediatoren, die selbst Roma sind, intensiv mit den Betroffenen gesprochen, die mit der Vorstellung nach Berlin gekommen seien, dass drei Monate Bleiberecht auch drei Monate Sozialleistungen bedeute. Man habe nach Lösungen gesucht und führe auch Gespräche mit Organisationen anderer Länder, um den betroffenen Familien konkret zu helfen.

Wo die Familien aber jetzt sind, das konnte oder wollte gestern niemand sagen. Laut Polizei hatten noch am Donnerstagabend einige Roma Berlin auf der Autobahn in Richtung Süden verlassen. Die anderen seien „irgendwo in der Stadt versickert“. Von den Berliner Flughäfen sind sie jedenfalls nicht abgeflogen, sagte Flughafensprecher Eberhard Elie. Auch im Künstlerhaus Bethanien, im Görlitzer Park oder anderswo in Kreuzberg wurden sie gestern nicht gesichtet.

„Man soll die Leute jetzt auch in Ruhe lassen“, sagte Bosiljka Schedlich, die Leiterin des Vereins südost Europa Kultur in Berlin: „Die Roma erleben seit mehr als tausend Jahren immer dasselbe. Wenn die Zeiten härter werden, sind sie die Ersten, die als Sündenböcke herhalten müssen. Deshalb sind sie immer auf der Flucht. Und wünschen sich nichts sehnlicher, als irgendwo anzukommen.“ Schedlich verwies darauf, dass sich momentan in Osteuropa Angriffe auf Leib und Leben der Roma häufen: „Aber auch in Italien sind Autoscheiben wischende Roma brutal aus dem Land vertrieben worden.“ Menschenrechtler und Politiker fordern, dass westliche Staaten stärker auf den Schutz der Minderheiten in den osteuropäischen Ländern dringen sollten.

Erschreckend hilflos sei jedenfalls das Verhalten der Berliner Behörden gewesen, kritisierte der Seelsorger für Sinti und Roma beim Erzbistum Berlin, Gregor Bellin: „Die wollten die Roma nur loswerden und haben sich mit ein paar Euro von der Verantwortung freigekauft“.

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