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Berlin: Rot-Rot streitet über Sitzblockaden

Der Brandenburger Innenminister verteidigt im Landtag den Polizeieinsatz in Neuruppin

Neuruppin/Berlin/ Potsdam - Die Brandenburger Polizei wechselt offenbar ihre Strategie, demnächst wird härter durchgegriffen: Innenminister Dietmar Woidke (SPD) hat am Mittwoch im Potsdamer Landtag die umstrittene Auflösung einer Sitzblockade protestierender Bürger vergangenen Sonnabend in Neuruppin verteidigt. Das Vorgehen der Polizei sei „nach Sach- und Rechtslage“ gerechtfertigt gewesen, weil der Anfangsverdacht der Störung eines Aufzugs und der Nötigung bestanden habe. Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) dagegen sagte: Der Justiz sei im Vorfeld zwar klar gewesen, dass die Polizei diesmal rigoroser durchgreifen wollte. Massenhaftes Abführen und Einkesseln habe sie aber nicht gebilligt.

Beamte hatten vergangenen Sonnabend eine Sitzblockade von mehr als 200 Demonstranten aufgelöst, die einen Aufzug von 150 Rechtsextremen verhindern wollten. Fast 300 Blockierer, aber auch Unbeteiligte wurden für mehr als vier Stunden eingekesselt. Einzelne Teilnehmer, die die Blockade freiwillig verlassen hatten, wurden für knapp drei Stunden in einem Gefängniswagen festgehalten. Die Eingekesselten berichteten, sie seien stundenlang nicht mit Wasser versorgt worden. Auch hätten sie ihre Notdurft zunächst auf offener Straße verrichten müssen. Polizisten nahmen Personalien der Blockierer auf und machten Fotos. Die Dauer dieser Prozedur bedauerte Woidke ausdrücklich. Er kündigte eine interne Untersuchung an.

In Brandenburg zählten spontane Versuche, Neonazi-Aufmärsche wenigstens zu erschweren, fast zum guten Ton – auch für Regierungspolitiker von SPD und Linke. In Neuruppin aber war die Polizei am Wochenende mit deutlich mehr Einsatzkräften angerückt als noch diesen Juli, als Neonazis wegen Gegenprotesten nicht durch die Stadt marschieren konnten. Die rechtsextremen „Freien Kräfte“ hatten daraufhin gedroht, häufiger durch Neuruppin ziehen zu wollen, wenn sie nicht endlich freie Bahn bekämen. Der Vorfall vom Wochenende belastet die rot-rote Koalition. Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser bezeichnete den Einsatz als unverhältnismäßig. Sie sprach von einem „verheerenden politischen Signal“und entschuldigte sich, dass dies unter Rot-Rot möglich gewesen sei.

Sitzblockaden sind rechtlich umstritten – sie können als Nötigung eingestuft werden. Immer wieder nehmen auch Spitzenpolitiker an ihnen als Form des „zivilen Ungehorsams“ teil. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte sich an einer Sitzblockade gegen eine Neonazidemo am 1. Mai 2010 beteiligt. Von Parteifreunden und Polizeifunktionären ist Thierse deshalb noch Wochen später scharf kritisiert worden. Der Berliner SPD-Innensenator Ehrhart Körting sagte damals in Anspielung auf Thierses Mandat, dass „Bundestagsabgeordnete nicht über dem Grundgesetz stehen“. Die Polizei müsse auch das Demonstrationsrecht von Rechtsextremen durchsetzen. Polizeigewerkschafter hatten Thierses Rücktritt gefordert. Während Thierse nach fünf Aufforderungen der Polizei freiwillig die Straße geräumt hatte, musste der Berliner Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) von zwei Polizisten weggeführt werden.

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