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Rot-rote Koalition: Begrenzt politikfähig

Doppelhaushalt, Schulreform, Tarifverhandlungen: Rot-Rot hat noch viele strittige Themen zu klären – und nur noch eine Stimme Mehrheit im Parlament. Bei mancher Entscheidung kann es eng werden.

Eine Stimme Mehrheit – und etliche strittige Themen: Das ist die Perspektive der rot-roten Koalition für die kommenden Monate. Ein Überblick, wo es schwierig werden könnte.

Bildung/Sekundarschule: Schon zwei Mal hat der kleine Koalitionspartner Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) die Gefolgschaft verweigert, wenn es im Senat um die Reform der Schulstruktur ging. Der Kern der Auseinandersetzung besteht darin, dass die Linke eine Schule für alle will, die Gemeinschaftsschule. Die SPD hingegen zielt auf ein zweigliedriges System, auch, weil sie die Abschaffung der Gymnasien vorläufig nicht für mehrheitsfähig hält. Neben den Gymnasien soll die neue Sekundarschule installiert werden. An der Ausgestaltung der neuen Schulform, die Haupt- und Realschulen zusammenführen soll, hat sich jetzt der Streit entzündet: Die Linke fürchtet um die Konkurrenzfähigkeit der Sekundarschule und will erreichen, dass dort die Stundenpläne mit denen des Gymnasiums identisch sind. Das aber kostet Geld, und woher das kommen soll, ist unklar. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch in Bezug auf die Frage, ob die Gymnasien bei der Behindertenintegration ebenso stark in die Pflicht genommen werden sollen wie die Sekundarschulen.

Ausbau A 100: Der Weiterbau der Stadtautobahn zum Treptower Park ist zwar im Koalitionsvertrag verankert, aber quer durch die Koalition umstritten. Die Linken sahen das voraussichtlich 420 Millionen Euro teure Projekt schon lange kritisch, und jetzt geht der Riss auch durch die SPD: In Zeiten des Klimawandels so gigantische Summen allein für den Autoverkehr in der Stadt auszugeben, erscheint vielen Sozialdemokraten unverantwortlich. Vielleicht stoppt der Landesparteitag am 17. Mai das Vorhaben, das von der sozialdemokratisch geführten Stadtentwicklungsverwaltung bislang keineswegs infrage gestellt wird.

BVG-Vorstand: Gegenwind erhält der Senat aus den Parteien auch beim Umgang mit der BVG-Vorstandsbesetzung im vergangenen Jahr. Auf dem Parteitag soll ein Antrag eingebracht werden, der fordert, die Besetzung rückgängig zu machen, da sie rechtswidrig gewesen sei. Der Senat bestreitet dies. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) und der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatten darauf verzichtet, die Stelle auszuschreiben und sie intern besetzt. Die Kritiker berufen sich auf das Betriebegesetz, das vorschreibe, solche Stellen auszuschreiben, wenn Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert sind. Dies soll Frauen ermöglichen, sich zu bewerben. Im BVG-Vorstand sitzt keine Frau.

Richterwahl: Auch die Wahl von Richtern zum Verfassungsgerichtshof könnte zur Zerreißprobe werden. So scheiterte am 26. April 2007 die Kandidatin der Linken, Evelyn Kenzler, überraschend. Trotz Absprachen aller Fraktionen fehlten ihr fünf Stimmen. Neun Richter bilden den Verfassungsgerichtshof und sie amtieren höchstens sieben Jahre. Dann müssen die Abgeordneten mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit Nachfolger wählen. Um die Mehrheiten zu schaffen, einigen sich die Fraktionschefs in vielen Sitzungen auf eine Kandidatenliste und sagen sich gegenseitig zu, alle Abgeordneten fraktionsübergreifend zur Wahl aller fünf Richter-Kandidaten aufzufordern. Als das vor zwei Jahren scheiterte, warf die rot-rote Koalition den drei Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus „Vertrauensbruch“ vor. CDU, Grüne und FDP hielten im Gegenzug der damaligen PDS „Unehrlichkeit“ vor.

Doppelhaushalt: Der neue Landeshaushalt, der im Herbst beraten werden soll, könnte SPD und Linke auseinanderbringen. „Ein bisschen Gerangel“ werde es sicher geben, sagt ein Linker, aber keinen Grundsatzstreit. Die Berliner Linken haben gerade in der Finanzpolitik ein pragmatisches Politikverständnis gezeigt: Konsolidierung muss sein, Experimente werden (wie die Gemeinschaftsschule) nur in begrenztem Umfang gefördert. Bei dieser Linie wollen sie offenbar bleiben. Streit über den Haushalt sei nicht absehbar, heißt es aus der Linkspartei, auch wenn es krisenbedingt weniger Einnahmen als in den vergangenen Jahren geben werde. Außerdem gehen die Linken davon aus, dass ihr Koalitionspartner so wenig wie sie „jeder Mindereinnahme hinterhersparen“ wolle.

Solidarpakt: Zu Jahresbeginn 2010 läuft der „Anwendungstarifvertrag“ aus, den Wowereit 2003 den Gewerkschaften abgerungen hatte. Der sah acht bis zwölf Prozent Gehaltsverzicht bei entsprechend verkürzter Arbeitszeit vor. Jetzt wollen die Landesdiener wieder zum Bundestrend aufschließen. Dem Senat stehen also zähe Verhandlungen bevor – und jährliche Mehrkosten von schätzungsweise 150 Millionen Euro. Und die Gewerkschaften werden wenig kompromissbereit sein.

Mediaspree: Bei der Bebauung der Uferstreifen entlang der Spree in Friedrichshain-Kreuzberg murrt zwar ein Teil der Mitglieder beider Parteien weiter gegen die Ausbaupläne, die der Senat umgesetzt sehen will, obwohl die Mehrheit in einem Bürgerentscheid im vergangenen Jahr dagegen votiert hat. Der Streit findet hier aber auf Bezirksebene statt, weil der Senat die Zuständigkeit für die Planung nicht übernommen hat. ball, kt, obs, sve, wvb.

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