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Berlin: Rote Köpfe, flinke Füße, schlackernde Knie Berlin ist ungewohnt still und schaut denLäufernzu

Manchmal erkennt einer am Rand einen im Pulk und ruft nach ihm, und der winkt dann. Woher nimmt der die Energie?

Manchmal erkennt einer am Rand einen im Pulk und ruft nach ihm, und der winkt dann. Woher nimmt der die Energie? Manchmal hält einer aus dem Pulk und küsst eine, die am Rand steht. Ist das Liebe? Manchmal riecht es nach Kaffee und Crepes, wo die ausgedörrten Läufer vorbei kommen. Das ist Disziplin.

Während 40000 Menschen lange vor neun Uhr früh energetisch in Alarmbereitschaft sind, scheint die verschlafene Stadt, deren Straßen gleich durchlaufen werden sollten, zu sagen: Nehmt meine breiten Straßen für euren Marathon, das schöne Wetter, aber macht keinen Krach. Und so ist es eine fast andächtige Stille, die dem Trippeln der 80000 Füße vorangeht. Ein Kind probiert, als noch kein Läufer in Kreuzberg ist und die Luft noch kühl, auf der Straße seine Plastikknarre. Kkrrrrr, macht das Gerät, der einzige Ton. Das Kind guckt erschrocken.

Es fahren kaum Autos am Marathontag, es ist wie Ferien auf Hiddensee. Motorenlärm ist nur, wo die Hubschrauber in der Luft stehen. Sie beobachten die schnellsten Läufer. Männer, die es auf 20 Stundenkilometer bringen. Man hört sie nicht, ihre Sohlen berühren den Boden nur kurz. An der Hasenheide wollen drei Jungs auf ihren Fahrrädern neben der Spitzengruppe herfahren. Sie scheitern.

Die Kneipen an den großen Straßen sind voll mit frühen Trinkern, aber die sind diesmal nicht allein. Es wird viel Bier getrunken am Rande der Strecke. Als sei die Anstrengung der einen Grund zur Ausschweifung der anderen.

Nach den Spitzenläufern, die wie an einer Kette aufgereiht hintereinander her laufen, kommen als Traube die Hobbyläufer. Zur Hälfte der Strecke, sie erreichen gerade Schöneberg, haben sie einen Puls von 135, rote Köpfe, sie laufen auf staksenden Beinen oder flinken Füßen, mit schwingenden Armen oder hochgezogenen Schultern. Was sie hören: Trommel- oder Jazzgruppen, Plastik- und Holzrasseln, Kuhglocken, Löffel, die auf Kochtöpfe hauen, Trillerpfeifen. Am Hohenzollerndamm sitzen vier Mädchen am Straßenrand und essen Pommes. Sie haben ihren Mini-Marathon hinter sich. Bei den Läufern hat hier bei Kilometer 31 die Fettstoffwechselverbrennung begonnen. Die Beine wollen nicht mehr. Alles ist am Limit. Auf dem Ku’damm sagt ein Musiker am Bass, er fühle sich wie auf der Zielgeraden, deshalb mache die Band jetzt Pause.

Auch in den Seitenstraßen ist Pause, steht die Zeit still. Menschen laufen über die Straßen, ohne zu gucken, Autofahrer drehen Kreise, weil sie überall auf Absperrungen stoßen, Radler fahren bei Rot und die Polizei lässt sie gewähren. An der Bülowstraße steht ein Wachbatallion. In der Kneipe nebenan sagt ein Korntrinker, der Marathon käme hier nicht lang. Seine Kumpel lallen: ach, Quatsch, und da kommen die ersten Läufer. Der Korntrinker schweigt beleidigt.

Als die Hobbyläufer Stunden später Richtung Potsdamer Platz traben, steht die Sonne hoch am Himmel. Füße klatschen platt auf den Boden, für Bakterien wären die Läufer jetzt leichte Beute, die Immunsysteme sind am Boden. Am Rand immer wieder Menschen in Turnzeug mit weißen Knäueln in der Hand, den Startnummern. Sie sind herausgefallen aus dem großen Ereignis. Nicht Athlet, nicht Zuschauer. In Kreuzberg fahren da schon wieder die Autos. Der alte Lärm hat die Stadt übernommen.

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