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Berlin: Rotsehen

Eine Einladung zum Spätgebet in der Johannes-Evangelist-Kirche

SONNTAGS UM ZEHN

Hellrot, dunkelrot und orange leuchtet Paul Klees „Rosengarten“. Die Farben strahlen in den stockdunkeln Kirchenraum der Johannes-Evangelist-Kirche in Mitte. Vor dem Altar steht eine Leinwand, auf einem Klappstuhl ein Diaprojektor. Vor der Leinwand haben sich an diesem Freitagabend ein paar Menschen zum „Spätgebet“ versammelt, dieses Mal zum Thema „Leere – Fülle der Farben“.

Es ist leer in dem 50 Meter langen Kirchenschiff, es gibt keine Bänke, unter den Füßen knirschen Mörtel und Staub. Die Humboldt-Universität hat zu DDR-Zeiten hier Dissertationen archiviert, im Januar diesen Jahres wurde der Raum mit den Säulengängen an den Seiten wieder als Kirche geweiht. Und weil es so leer und dunkel ist, saugt Klees Rot die Blicke an, um die Ohren streicht leise Akkordeonmusik, ein Stück von John Cage aus einer Musikanlage.

Je länger man auf das abstrakte Gemälde schaut, um so mehr sieht man: Häuser, Wiesen, Rosen, Sommer. „Denn gleichwie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, so lässt Gott der Herr Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Nationen.“ Ute Sauerbrey und Philipp Enger, zwei Pfarrer von der Sophien-Gemeinde, lesen aus Jesaja, dann ein Gedicht von Paul Klee „Öffne Dich, Du Pforte in der Tiefe, Verlies im Grunde, gib mich frei…“ Dann sprechen sie über den Garten Eden und den Garten Gethsemane, über Orte, an denen Menschen verzweifeln und erlöst werden.

Sachte schiebt Ute Sauerbrey ein neues Dia in den Projektor. Diesmal taucht ein Gemälde von Max Beckmann aus dem Dunkel auf: „Und Gott wird abwischen alle Tränen“. Auch dazu wird eine Bibelstelle gelesen, ein Gedicht von Bertolt Brecht, eine Meditation über die Hoffnung schließt sich an. Nach einer guten halben Stunde bitten die Pfarrer Gott um die Macht des klaren Sehens und die Freiheit des visionären Schauens. Auch um die Farbe Rot bitten sie Gott, um die Liebe und Leidenschaft, „damit das Feuer der Veränderung in uns brennt“. Gesegnet und irgendwie schwereloser tritt man wieder in die Nacht hinaus.

Das „Spätgebet“ in der Johannes-Evangelist-Kirche in der Auguststraße 90 gibt es jeden letzten Freitag im Monat um 22 Uhr, das nächste Mal am 29.8. zum Thema „Leere – Schatz der Einfachheit“.

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