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Susanne Leimstoll

© Kitty Kleist-Heinrich

Meine Meinung: Schafft die Insel ab

Nicht mal Einkaufen macht hier Spaß. Dieser Ort ist ein Unsympath.

Von Susanne Leimstoll

Wäre der Ostbahnhof eine bewohnbare Insel, die Menschen auf dem Eiland litten keine Not. Auf diesem Stückchen Berlin zwischen Friedrichshain und Kreuzberg drängen sich Filialen, Buden, Fressstände, Supermärkte. Eine Shoppingmeile en miniature. Nach der Drehtür riecht es morgens vor neun schon nach Pizza. Auf dem Weg durch den blank polierten Flur muss man sich entscheiden: zur Post, zur Bank, zu Fotofix, ein Sandwich bei Subway, kurz zur Reinigung, zum Friseur, zur Änderungsschneiderei? Im Intercity-Hotel absteigen, nur einen Mac irgendwas mit Fritten oder doch Sushi einwerfen? Schuhe kaufen, Zeitungen oder Hertha-Souvenirs, zur Apotheke, zum Drogeriemarkt oder zum Handyanbieter? Und doch: Das Shoppen im bunten Retortenland macht keinen Spaß, an den Buden am Hinterausgang sowieso nicht.

Wer am Ostbahnhof landet, rennt als Pendler oder Reisender zum Zug. Oder schleppt den Rollkoffer in Richtung East-Side-Gallery. Oder hat den Einkauf unter der Woche nicht geschafft. Oder hat gar keine Bleibe und verbringt hier Tage und Nächte – ein Problem, das den Bahnhof zum Unsympathen macht. An Sonntagen stehen die Flaschensammler quer durch die Gänge von Rewe und Lidl im Untergeschoss Schlange bis vor die Ladentüren, wo der Wachdienst wartet. Oben in der Halle und vor der Tür geht nichts ohne Polizeipräsenz. Noch bis vor Kurzem, ehe die Bauarbeiten auf dem Vorplatz begannen, war es kaum möglich, ein Parkticket zu ziehen, ohne angemacht oder angegrapscht zu werden. Wer hier parkte, konnte Pech haben und beim Aussteigen in frische (menschliche) Exkremente treten. Ganz sicher musste er an Horden von Alkis und Junkies und Pennern vorbei, die auf der Rampe ihre Nische gefunden hatten. Ein moderner Bahnhof und doch ein Unort, abgegrenzt vom Rest der Umgebung durch einen Parkplatz vor der Tür, ein Parkhaus darunter, einen weiteren Parkplatz daneben, eine scherbenübersäte Brachfläche und noch einen Parkplatz. Der Vorplatz des Ostbahnhofs ist da zum Einsteigen, Aussteigen, Umsteigen und Herumlungern. Keine Sichtverbindung zum Stralauer Platz, früher eine Grünanlage, heute ein ungepflegter Streifen zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen und vollen Fahrspuren.

Seit die Parkzone auf dem Vorplatz umgebaut wird, weil aus dem alten – Überraschung! – ein neuer Parkplatz werden soll, seit sie die halbhohen Klinkermauern eingerissen und das Gebüsch unterhalb gelichtet haben, sieht jeder, der durch die große Glasfront des Bahnhofs hinausblickt, endlich, dass diese hässliche Insel gar keine sein müsste.

Welche Möglichkeiten die Lage böte, den weiten Raum zu gestalten vom Bahnhof bis hinunter zum Stralauer Platz, vom Postbahnhof an der Straße der Pariser Kommune bis zur Andreasstraße, an deren Anfang lange eine Kirche stand, vom Portal des Bahnhofs bis hinüber zum historischen Klinkerbau des Energieforums an der Holzmarktstraße. Man hätte Lust, einfach ein Stückchen bergab zu schlendern auf einer Piazza, wenn es sie denn gäbe, rüber zur East-Side-Gallery, ans Wasser oder zum Radialsystem. Oder zu verweilen, unter Bäumen vielleicht, so nah am Ufer der Spree. Ankommen, durchatmen, innehalten und erst mal schauen. Es gibt so viel zu sehen dort, am Tor zum großen Szenebezirk.

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