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Berlin: Scharfe Sachen

Gewürze und Co.: Tim Raues Art zu kochen wirkt manchmal widerborstig. Er gibt dem Kalb afrikanisches Aroma und kombiniert spanische Wurst dazu

„Das geht ja gar nicht!“ Diesen Satz hört man von Tim Raue häufig. Das kann Tadel wie auch Erstaunen über die Chuzpe von Mitmenschen bedeuten. Andererseits weiß Raue selbst zu verblüffen – nicht nur mit seinem Evolutions-Menü im Restaurant „44“ im Swissôtel, sondern auch als Organisator seiner Küche. Selten trifft man Menschen, die mit knappen, präzisen Sätzen so zu dirigieren verstehen. Selbst wenn der Ton mitunter scharf werden sollte, verrät er doch stets die Leidenschaft für den Beruf, bei dem es wie bei kaum einem anderen darauf ankommt, Hand in Hand zu arbeiten.

Zusammen mit seiner Brigade entwickelte Raue ein Gericht vom Kalb, das, wie er sagt, „richtig Schmackes hat – Power! Saft! Schärfe! Ist jedenfalls nix für den Kindergarten“. Einen Raue am Herd, umringt von Kindern, kann man sich auch nicht so richtig vorstellen. Obwohl seine Küche tatsächlich etwas Spielerisches und mitunter sogar Widerborstiges besitzt.

Beim Einkaufen im 6. Stock des KaDeWe wird Raue plötzlich zum Fremdenführer und Kunden in einer Person. Im Sauseschritt eilt er zielsicher durch die Gänge zu den Ständen, zu Regalen und Vitrinen, die es ihm angetan haben. Dabei erweist sich der gebürtige Kreuzberger als Trendsetter. Die Sobrasada entdeckte er vor Jahren während eines Engagements auf Mallorca: „Hab’ ich aufgespießt im Yachthafen.“ Diese recht weiche, aber scharfe Wurst, ein spanischer Schwartenmagen sozusagen, ist allerdings nicht immer leicht zu bekommen. Deshalb kann sie auch durch die populärere Chorizo ersetzt werden.

Man sollte sich ein geschmeidiges Exemplar von der Paprikawurst aussuchen, das aus der Pelle gezogen und möglichst klein geschnitten werden muss, um den Kartoffelbrei zu würzen.

Der Koch begeistert sich für die schicke südafrikanische Linie von „Nomu“ aus dem Themenregal „South African Spices“, am Ende der Fleischtheke. Für sein Rezept befand er „Egyptian dukkah“ als geeignet, eine zwar von Kreuzkümmel dominierte, aber dennoch hoch interessante Gewürzmischung aus gerösteten Haselnüssen und Mandeln, Kreuzkümmel und Sesam, das normalerweise zum Couscous verwendet wird. Außerdem ein Barbeque-Gemisch mit Chili, Koriandersamen, Muskat und Paprika.

Wenn sich Raue auf neue Gewürze einstellt, dann geht er auch zur Sache. Die beiden Gewürzmischungen vom schwarzen Erdteil lösen regelrechte aromatische Kettenreaktionen aus, ohne indessen dem zarten Kalbfleisch den Eigengeschmack zu rauben. Sie verschaffen Kontur und etwas Abwechslung. Das ist umso erstaunlicher, weil für zwei Personen gleich ein gehäufter Suppenlöffel verwendet wird und auch ein tüchtiger Hieb von der „Tomato and Lemon Grass Jam“ den Kartoffelbrei ein bisschen ins Süße hinein abrundet. Allerdings dürfte sich Raue der Gefahr bewusst sein, die von Gewürzen ausgehen kann. Schnell kann es einem ja so gehen wie jemandem, der in einer Diskussion zu viele Argumente ins Feld führt und gerade damit die Aufmerksamkeit der anderen nicht zu fesseln vermag.

In Restaurant „44“ findet jeden Abend gewissermaßen ein Gewürzkurs statt – ob es nun Jacobsmuscheln mit Berberitzen und Eis vom Raz el Hanout, Hummer in Lavendelvinaigrette ist, Dorade mit Wassermelone und Koriander oder Entenleber mit grünem Pfeffer sowie Schnittlauch-Kamillensalz, das natürlich auf Raues geliebten Maldon Sea Salt beruht. Auch mit Süßspeisen geht er nicht zaghaft um: Seit einiger Zeit hat sich Tim Raue auf die Herstellung von Schokoladetafeln verlegt, die nun im Swissôtel als kulinarisches Erinnerungsstück angeboten werden. Gegenüber gewöhnlichen Tafeln fehlt ihnen die kakaobuttrige Cremigkeit – dafür kommt die Tiefe des Kakaos zum Beispiel bei der mit Lavendel gewürzten Schokolade zum Tragen. Sie oder die Orangenmarmelade sind jedenfalls ein würdiger Nachtisch für einen butterzart geschmorten Kalbskamm.

Restaurant „44“ im Swissôtel, Augsburger Straße44, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tel. 22010-2288 (tgl. 12 bis 23 Uhr).

Am kommenden Mittwoch geht es weiter. In Folge 4 unserer Serie präsentiert Michael Hoffmann vom „Margaux“ sein Lieblingsrezept.

Thomas Platt (Texte), Kai-Uwe Heinrich (Fotos)

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