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Berlin: Schläge und Messerstiche in der Oranienstraße

Sie nennen sich „Richard 44“ oder „Dresdos“, und in Kreuzberg und Neukölln gibt es Massenprügeleien – sind die Jugendbanden wieder zurück?

Warum die jeweils etwa 20 jungen Männer auf der Oranienstraße in Kreuzberg aufeinander losgingen, darüber kann die Polizei nur spekulieren. Vier Mitglieder der beiden Gruppen mussten jedenfalls in der Nacht zum Sonntag mit Stichwunden ins Krankenhaus gebracht werden.

Bereits am Pfingstmontag hatte es in Neukölln eine Massenschlägerei zweier Jugendgruppen gegeben. Etwa 20 Jugendliche hatten in der Richardstraße mit herumliegenden Holzlatten sowie Zuckerstreuern und Stühlen aus einem Café auf ihre Widersacher – eine ebenfalls 20 Mann starke Jugendgruppe – geworfen und eingeschlagen. Ein Mann, dessen Wagen dabei beschädigt wurde, wurde durch einen Messerstich verletzt. Eine „Ehrverletzung“ sei der Auslöser gewesen, glaubt die Polizei. Irgendjemand aus der einen Gruppe habe die Ex-Freundin eines anderen „beleidigt oder schief angeschaut“, sagt Rainer Noack. Er ist der Kommissariatsleiter Jugendgruppengewalt in der Direktion 5, die zuständig ist für Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain. Ob es sich dabei allerdings um eine geplante Schlägerei zwischen organisierten „Jugendgangs“ gehandelt hat, bezweifelt der Kommissariatsleiter.

Dennoch wird in der Polizei nicht ausgeschlossen, dass immer mal wieder der Mythos der Jugendgangs wiederbelebt wird. Die Beamten der „Operativen Gruppe Jugendgewalt“ (OGJ) der einzelnen Direktionen halten deshalb in Jugendclubs die Augen offen: Erst kürzlich sei man in einer Einrichtung in Kreuzberg auf den Graffiti-Schriftzug „Dresdos“ und auch „Schlesies“ gestoßen: Eine erst mal ganz harmlos wirkende Abkürzung für die Jungs aus der „Dresdener Straße“ und vom „Schlesischen Tor“.

Der Kriminalhauptkommissar Noack betont, dass solch großen Schlägereien wie zu Pfingsten eine Ausnahme sind. Straff organisierte Jugendgangs mit einer Hierarchie und Zugehörigkeits-Motiven auf den Jacken wie Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger Jahre (siehe Kasten) gebe es in Berlin nicht mehr, sagt Noack. Wenn, dann seien es „lockere Verbindungen zwischen Jugendlichen, die in derselben Gegend wohnen und manchmal zusammen Straftaten begehen“. In der Kriminalstatistik fasst die Polizei all jene Straftaten, die Jugendliche in Gruppen begehen, unter dem Begriff „Jugendgruppengewalt“ zusammen. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Jugendbanden. In Noacks Bereich wurden vergangenes Jahr 1600 Straftaten gezählt: 900 davon waren Raubtaten, 350 Körperverletzungen. Bei der Schlägerei in Neukölln seien die Namen „Richard 44“ (Richardstraße und die alte Berliner Postleitzahl 44) im Spiel gewesen. Was die „Gegner“ betrifft, so ist den Ermittlern noch nicht ganz klar, ob „die Lichtenrader“ sich auf Jugendliche aus dem Bezirk bezieht oder auf jene, die in der Lichtenrader Straße in Neukölln wohnen. „Die Angaben sind widersprüchlich. Aber so oder so ist uns von einer festen Struktur von Banden nichts bekannt“, sagt Noack.

Die letzte größere polizeibekannte Keilerei gab’s im Mai 2003 im Volkspark Hasenheide – während des Rummelfestes. Damals sind rund 50 türkischstämmige Jugendliche auf eine größere Gruppe arabischstämmiger Jugendlicher mit Holzlatten, Schlagstöcken und Gaswaffen losgegangen. Es sei eine Schlacht zwischen „Neukölln und Kreuzberg“ gewesen, habe man ermittelt.Bandennamen wie „Hertzberg-Gang“ aus Neukölln und „Mittenwalder“ machten auch damals die Runde. Aber eigentlich, sagt Noack, seien diese Banden gar nicht mehr aktiv. Wenn diese Namen fallen, „dann meist von Jugendlichen, die anderen damit drohen und sich stark machen wollen, zu einer bestimmten Gang zu gehören“.

Als „aus der Mode gekommen“ beschreibt auch Mike Reichel, Kommissariatsleiter für Straßenraub und Jugendgruppengewalt der Direktion 1, das Phänomen der Jugendbanden. Er ist unter anderem zuständig für den Bereich Wedding und Moabit. Inspiriert durch den Film „The Warriors“ sei es damals „schick“ gewesen, sich in einer Bande zusammenzufinden und dies auch durch Aufnäher an den Jacken nach außen zu zeigen. Doch das habe sich schnell geändert. „Durch die Identifikationsmöglichkeiten über die Jacken kam die Polizei Straftätern schnell auf die Spur“, sagt Mike Reichel.

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