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Berlin: Schlechte Familien, gute Heime

Wohin mit einer kriminellen 13-Jährigen? Gerichtsgutachter kritisiert die Haltung des Jugendamts

Die Hilfeplankonferenz hat getagt und der Rest ist Schweigen. Darum habe die Mutter gebeten. Nichts solle mehr bekannt gegeben werden über die Zukunft ihrer 13-jährigen Tochter, einer Intensivtäterin, die zuletzt aufgefallen war, weil sie eine Studentin krankenhausreif geprügelt hat und mit einer Schreckschusspistole ein Hostel überfallen wollte. Dietmar Schmidt, der zuständige Jugendamtsleiter in Mitte, sagte deshalb nur, man habe Maßnahmen beschlossen, die „geeignet und notwendig“ seien, um das Mädchen „wieder in die Reihe zu kriegen“.

Ob – wie in einigen Medien spekuliert wurde – ein Aufenthalt in einem Jugendcamp in Ungarn dazu gehöre, sagte er nicht, bestätigte aber, dass man mit der Einrichtung gute Erfahrungen gemacht habe.

An der Konferenz nahmen neben Mutter und Tochter Sozialarbeiter, Vertreter des Jugendamts, der Schule und freier Träger teil. Nicht aber der Polizei. Ein Umstand, den der Gerichtsgutachter Rainer Ballof scharf kritisiert. Die Jugendämter hätten nicht begriffen, dass bei der Polizei längst Experten tätig seien, die sehr wohl auch im Bereich Prävention geschult sind. Der Diplom-Psychologe, der am Institut Recht und Familie tätig ist, bringt noch einen anderen Aspekt auf, der die Argumentation des Jugendamts betrifft. Dort setzt man darauf, dass die Mutter kooperieren will, das habe sie gesagt, deshalb sieht man auch davon ab, das Familiengericht anzurufen, um die 13-Jährige aus der elterlichen Wohnung zu holen. Dagegen setzt Ballof seine Erfahrungen als Gutachter in solchen Fällen, nach denen es gerade für muslimische Familien eine große Schande sei, wenn die Kinder in Heime kämen. Die Mutter des Mädchens ist aus dem Libanon, 28 Jahre alt und hat noch fünf weitere Kinder. Er sieht bei Jugendämtern die Tendenz, eine schlechte Familie für besser zu halten als ein gutes Heim.

Ein Heimunterbringung muss von einem Familiengericht verfügt werden, das auf Basis des Paragraphen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu entscheiden hat, ob eine Gefährdung des Kindeswohl vorliegt. Dieser Paragraph wird derzeit von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe verändert. Ende des Jahres soll ein entsprechender Gesetzesentwurf vorliegen. Kinder, die mehrfach straffällig geworden sind, sollen dann auch als gefährdet gelten, was bisher nicht der Fall ist. Ziel der Gesetzesänderung ist, die Möglichkeiten der Behörden zu stärken, Kinder aus Familien zu holen, denen sie offenbar entglitten sind. Ballof bringt deren Zukunft auf die Formel: „Gefährdete Kinder werden gefährliche Kinder.“

Im Jugendamt will man so schwarz nicht sehen. Man kenne die Familie inzwischen, da diese in Abständen mehrere erzieherische Hilfsmaßnahmen erhalten habe. Dass die 13-Jährige mit dem Hostelüberfall erneut brutal auffiel, nennt Schmidt zwar einen „Rückschlag“, fragt aber auch, ob es nicht vielleicht längst noch schlimmer wäre, wenn es die bisherigen Hilfen nicht gegeben hätte. Auf kriminelle Kinder nur mit Repression zu reagieren, sei nicht geeignet. Man müsse versuchen, Kontakte aufzubauen, die Beziehungsunfähigkeit aufzubrechen. Das gehe nicht von jetzt auf gleich.

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