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Berlin: Schlicht unvergleichlich

Die kleine Inszenierung fürs Foto hat sie mit Bedacht gewählt: Ein weißes Kleid von „Lilli Berlin“ – impressionistisch, sagt sie. Ein weißes Stirnband um den Wuschelschnitt, dazu Ray-Ban-Sonnenbrille, Flipflops und ein nostalgisches Sonnenschirmchen.

Von Susanne Leimstoll

Die kleine Inszenierung fürs Foto hat sie mit Bedacht gewählt: Ein weißes Kleid von „Lilli Berlin“ – impressionistisch, sagt sie. Ein weißes Stirnband um den Wuschelschnitt, dazu Ray-Ban-Sonnenbrille, Flipflops und ein nostalgisches Sonnenschirmchen. So klettert Gitte Haenning in eine weiße Touristenkutsche mit schwarzen Rössern vor dem Brandenburger Tor. Das ist ihr Statement zu Berlin und seiner mittlerweile so touristischen Mitte: „Ich möchte so gerne Anmut erleben in dieser Stadt. Anmut, gemixt mit einem Quäntchen Punk und Rock’n Roll.“ Diese Anmut, findet sie, stört im Moment auch nicht die Tüte Häagen Dazs, die sie sich noch unbedingt holen musste.

Keckes Kind, versponnenes Mädchen, lässige Frau von – unglaublich – 65 Jahren: Gitte Haenning, die Sängerin, der Star aus Dänemark, lebt auf eine stille Art seit 17 Jahren zwischen all den Reisen in Berlin. Aus Liebe zur Stadt? „Nein, ich bin Kosmopolitin“, sagt sie. „Das hier kann nur eine Station sein.“ Ihr persönlicher Unruherythmus verlangt, alle neun Jahre weiterzuziehen. Eigentlich.

Bloß eine Zwischenstation? Seit 1994? Nach Mitte zog sie schon mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Musicalproduzenten Friedrich Kurz. Die Wohnung lag „am Brandenburger Tor, rechts“. Die Energie, die Mitte ausstrahlte, hat Gitte Haenning beflügelt. „Das Tolle war, dass Berlin noch nichts war. Überall schwang die Hoffnung mit, dass diese Stadt wieder etwas werden kann.“ Auf ihrem Rennrad aus Kopenhagen inspizierte sie die Umgebung, konnte, einfach so, auf dem Gehweg fahren wie in Dänemark. Das Borchardt war noch kein In-Restaurant, der Hackesche Markt erst im Aufbau und das jüdische Viertel noch nicht von Touristen geflutet. Freundinnen schleppte sie in die Parfümabteilung des brandneuen Quartier 206. „Überall war Elan zu spüren. Spannend zu schauen, wie das wuchs.“ Aber: Drei Opern, und New York hat nur die Met. „Man fragte sich schon, wie das finanziell zu halten sein sollte.“

Ein bisschen schwelgt sie in Nostalgie. „Ganz Mitte war eine Baustelle, und wir wohnten mittendrin.“ 2000 floh sie nach Pankow. Da war die Luft besser, aber sie hatte es so weit nach Mitte. Neun Jahre später kehrte sie zurück, fand ihren aktuellen Kiez. Der hat alles, was sie braucht: zwei Theater, zwei Blumenläden, zwei Apotheken. Mit dem Fahrrad kommt sie schnell zu ihrem Lieblingsitaliener Gusto, und in die Fresh-Food-Bar Flamingo will sie immer wieder zum Mittagessen. Die Friedrichstraße war für sie „der Clou“. „Und dann haben die da dieses Millionengrab Spreedreieck gebaut. Das nimmt dem Bahnhof seine Atmosphäre.“ An der wunderbaren August- oder der Linienstraße kann selbst der Tourismus nicht viel kaputt machen, findet sie. Berlin werde eben grandios vermarktet. „Es ist die Hoffnung für andere Länder auf eine neue Weltmetropole“, sagt sie mit Ironie und wünscht sich, Berlin würde „die Messlatte nicht so hoch legen“. „Es ist doch nur schnelllebig, mehr nicht.“

Verbal kokettiert sie mit dem Umzug in einen Westbezirk. „Ich will jetzt mehr Ruhe und Frieden spüren; das ist kaum möglich in Mitte.“ Im Moment stört das. Eben ist sie von einer Grönlandreise zurückgekehrt, auch musikalisch ein Erlebnis. Nun fehlen ihr Tiefe und Anmut und Werte besonders. „Ich bin doch nur hier, um Koffer auszupacken und alles zu ordnen.“ Fünfeinhalb Jahre noch, dann sind ihre neun wieder voll. Susanne Leimstoll

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