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Berlin: Schlichten statt richten - Justiz will Prozesse vermeiden

Richter bieten für Zivilverfahren jetzt die Mediation als neue Lösung an Eine schnelle, gütliche Einigung entlastet die Gerichte und spart Kosten

Von Katja Füchsel

Konflikte am Gartenzaun, Zank um die Erbschaft, Ärger mit dem Hausverwalter, Streit mit dem Chef, dem Geschäftspartner, dem Handwerker oder der Ex-Frau – es gibt offenbar kaum einen Konflikt, der es nicht wert wäre, vor Gericht ausgetragen zu werden. Und die Berliner gelten bundesweit als besonders klagefreudig. Nur haben die Prozesse, die sich auf den Schreibtischen der Richter stauen, entscheidende Nachteile: Gerichtsverfahren kosten Geld, ziehen sich oft über Jahre hin und befriedigen meist nur eine der beiden streitenden Parteien, nämlich den Gewinner. Zudem ist das Verhältnis der Streitenden nach einem Prozess oft unwiderruflich zerrüttet.

Schlichten statt richten – so lautet deshalb das Motto, das jetzt an den Berliner Zivilgerichten ausgegeben wird. Mediationen, also Einigungsgespräche unter richterlicher Anleitung, sollen in allen Instanzen schnelle, gütliche Ergebnisse bringen. „Ab März wollen wir am Landgericht den Parteien grundsätzlich die Möglichkeit einer Mediation geben“, sagt Richter Lennart Holldorf. Derzeit sei man dabei, im Landgericht eine eigene Mediationsabteilung einzurichten. Auch in den zwölf Amtsgerichten und dem Kammergericht haben sich bereits rund 20 Richter fortgebildet, um künftig Mediationen anbieten zu können.

Die Idee ist nicht neu. Als Vorreiter gilt Göttingen, wo bereits seit drei Jahren flächendeckend Mediationen angeboten werden. „Das läuft sehr erfolgreich“, sagt Holldorf. Hier seien rund 50 Prozent aller Fälle bei einem Mediator gelandet, der in rund 90 Prozent den Streit erfolgreich schlichten konnte. Zahlen, die in der rauen Großstadt Berlin vermutlich nicht erreicht werden können. „Es handelt sich in Göttingen oft um ländlich oder kleinstädtisch geprägte Konflikte“, sagt Holldorf.

Erste zaghafte Mediations-Anfänge gab es in Berlin 2005 beispielsweise im Amtsgericht Mitte, Neukölln und Tempelhof-Kreuzberg. Am Verwaltungsgericht arbeitet seit Oktober 2003 ein hauptberuflicher Mediator: Die Justizsenatorin hat den Richter Karsten-Michael Ortloff freigestellt, damit er sich ausschließlich als Streitschlichter engagieren kann.

In allen anderen Gerichten werden die Mediatoren gewissermaßen nebenberuflich tätig. Ortloff und seine Kollegen geben keine rechtlichen Hinweise, sie entscheiden nicht und enthalten sich eigener Vorschläge. Sie versuchen vielmehr, Bewegung in festgefahrene Konflikte zu bringen, indem sie beispielsweise die persönlichen von den sachlichen Aspekten trennen. Denn die Klage ist häufig nur vordergründig das Problem. Gerade bei Nachbarschaftsstreitigkeiten geht es meist um etwas ganz anderes. „Das kann man auch bei Bausachen oft beobachten: Irgendwann kam der Wurm rein und die Fronten haben sich verhärtet“, sagt Holldorf.

Als Ortloff am Verwaltungsgericht anfing, waren die Vorbehalte gerade unter den Kollegen beträchtlich. Viele hielten die Mediation für nichts als alten Wein in neuen Schläuchen, da auch im regulären Verfahren Vergleichsgespräche an der Tagesordnung sind. Bis heute gibt es unter den 37 Kammern im Verwaltungsgericht mehrere, die dem Mediator keinen einzigen Fall zugewiesen haben. Rund 110 Fälle hat Ortloff 2004 bearbeitet, die Erfolgsquote lag zwischen 60 und 70 Prozent. Aber auch, wenn eine Mediation scheitert, war die Zeit in der Regel nicht verschwendet: Die Parteien gehen nach Erfahrung der Mediatoren anschließend miteinander freundlicher um.

Die Widerstände unter den Kollegen lassen offenbar nach: Eine Umfrage an allen Berliner Gerichten ergab, dass sich mehr als die Hälfte der Richter vorstellen kann, Mediationen anzubieten. In manchen Amtsgerichten hat man bereits am 1. Januar angefangen. Drei Richter sind beispielsweise in Mitte geschulte Mediatoren. Bekommt ein Richter eine Akte auf den Tisch, entscheidet er, ob er den streitenden Parteien einen seiner Kollegen als Mediator empfiehlt. „Dann schicke ich ihnen das Merkblatt zu und schreibe die Anwälte an“, sagt eine Richterin aus Mitte. Die Wahl liegt bei den Streitenden: Ob sie sich lieber kurzfristig bei Keksen im Mediatorenzimmer wiedersehen oder Monate später im Gerichtssaal.

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