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Geldautomat. Die fest installierten Blitzer spülen Millionen in die Kassen Berlins.

© Thilo Rückeis

Geschwindigkeitskontrollen: Schnelles Geld aus dem Britzer Blitzer-Tunnel

Trotz steigender Unfallzahlen und hoher Einnahmen mit den fünf stationären Anlagen lehnen fast alle Parteien den Einsatz neuer Geräte ab. Sollen noch mehr Blitzgeräte gegen Raser zum Einsatz kommen? Ein Pro & Contra

Andere Städte und Gemeinden machen es Berlin vor: Um Raser zu stoppen, werden deutschlandweit immer mehr fest installierte Blitzer aufgestellt. So soll die Verkehrssicherheit erhöht werden – und viel Geld kommt auch in die Kassen. Berlin dagegen will das nicht. Eine sehr große Koalition aus SPD, CDU und Linkspartei hat, wie berichtet, einen Antrag der Grünen auf schärfere Kontrollen verhindert. Hintergrund der Forderung ist die dramatische Zunahme der tempobedingten Unfälle. Ein Viertel aller tödlichen Unfälle ist nach Angaben der Polizei auf zu hohe Geschwindigkeit zurückzuführen. Und die Verkehrsmoral ist im vergangenen Jahr sogar noch schlechter geworden: Die Zahl der Raserunfälle ist um 35 Prozent gestiegen – von 4651 auf 6348.

In Berlin gibt es seit Ende 2005 vier feste Tempoüberwachungen: An der Schildhornstraße in Steglitz, der Seestraße in Wedding, der Frankfurter Allee in Lichtenberg und der Scharnweberstraße in Reinickendorf. Im Jahr 2007 hatte jedes der vier Geräte 731 762 Euro eingespielt, 2009 war es noch halb soviel: 370 935 Euro. Die Standorte haben sich herumgesprochen, hieß es. Dennoch wurden 89 812 Autofahrer in diesen vier Straßen erwischt, jedes Knöllchen brachte im Schnitt 16,52 Euro ein. Amortisiert hatte sich der Anschaffungspreis von 80 000 Euro bereits nach einem Monat – seitdem fließt Geld in den Landeshaushalt.

In diesem Jahr werden die Einnahmen vermutlich drastisch steigen. Denn seit 26. Mai ist im Britzer Tunnel nach jahrelanger Diskussion eine fünfte – und nach Polizeiangaben vorerst letzte – Anlage scharf geschaltet. In nur sechs Tagen bis 31. Mai löste die Anlage 7120 Mal aus – eine fast unglaublich hohe Zahl. Der Erfolg scheint sich im Juni fortgesetzt haben, nur Zahlen kann die Polizei nicht nennen, offensichtlich ist Mensch oder Maschine mit der Knöllchenflut überfordert. Auf Anfrage teilte das Polizeipräsidium lediglich mit: „Aufgrund der aufgelaufenen Datenmenge ist der Zeitpunkt der Auswertung derzeit noch nicht bestimmbar.“ Die Anlage blitzt unsichtbar, um Autofahrer im Tunnel nicht zu erschrecken.

Die Grünen werfen den anderen Parteien vor, es sich aus wahltaktischen Gründen nicht mit Autofahrern verderben zu wollen. SPD und Verkehrsverwaltung verwiesen auf die Vorteile der mobilen Lasermessgeräte der Polizei. Bei denen sei der verkehrserzieherische Effekt weit größer, weil Sünder sofort angehalten werden. Die 105 in Berlin vorhandenen mobilen Geräte waren im vergangenen Jahr jedoch täglich nur 42 Minuten im Einsatz – wegen Personalmangels. „Skandalös“, hatte der grüne Abgeordnete Benedikt Lux dies kommentiert.

Andere Städte haben weniger Hemmungen. Im sächsischen Zwickau hat der Stadtrat gerade stolz vorgerechnet, dass sich der neue Blitzer nach drei Monaten „gerechnet“ habe. In Brandenburg stehen Geräte in fast jedem Dorf, teilweise getarnt als Mülltonne oder Warnbake am Straßenrand. In Hannover ist seit Neuestem die Kombination aus stationärem und mobilem Gerät im Einsatz: Ein vollautomatischer Blitzer, der mit einem Lieferwagen täglich an einen anderen Standort gefahren wird. In Hamburg zählt die Internetseite Radarfalle.de 19 Starenkästen, im dünn besiedelten Brandenburg sogar 197. Jörn Hasselmann

PRO

Schon klar, so ein Bußgeld bezahlt niemand gern. Aber es muss ja auch keiner, denn es ist die am leichtesten vermeidbare Geldausgabe überhaupt: Wer vorschriftsmäßig fährt, zahlt nichts. Wer könnte also ernstlich was dagegen haben, in der Stadt mehr Blitzer aufzustellen? Schließlich haben die Kästen viele Vorteile. Nummer eins: Die Leute fahren langsamer. Das senkt die Zahl und den Schweregrad von Unfällen. Es rettet also Menschenleben. Die Zahl der Verkehrstoten durch überhöhte Geschwindigkeit ist nämlich gestiegen. Die Raserei scheint Volkssport zu sein, denn im vergangenen Jahr wurden mehr als 600 000 Autofahrer geblitzt. Und das, obwohl viele der vorhandenen mobilen Radaranlagen nicht voll genutzt werden – da gibt es also noch eine Menge Potenzial. Vorteil Nummer zwei: Es kommt Geld in die Landeskasse. Rund eine Dreiviertelmillion Euro spielt jede Radarfalle jährlich ein; Verkehrsordnungswidrigkeiten insgesamt brachten im vergangenen Jahr 56 Millionen Euro für den Berliner Haushalt. Damit könnte man schon mal ein paar Kitas, Schulen und Sportplätze renovieren. Oder ein paar Schlaglöcher stopfen. Oder fast die gesamte barocke Fassade des Stadtschlosses bezahlen. Wie gesagt, jedes Bußgeld lässt sich vermeiden, wenn Autofahrer sich an Recht und Gesetz halten. Das vorgeschriebene Tempo einhalten, bei Rot anhalten, die Verkehrsregeln beachten. Deswegen sollte gelten: entweder das Blech korrekt steuern – oder blechen. Fatina Keilani

CONTRA

Nur damit das klar ist: Hier folgt kein Plädoyer fürs Rasen und keine Jammerarie über die Autofahrerfeindlichkeit der Berliner Verkehrspolitik. Autofahrer haben es in Berlin nicht schlechter als in anderen großen Städten – abgesehen davon, dass es woanders noch grüne Wellen gibt. Das Geschimpfe auf die angeblich so hohe Zahl von „Rasern“, gestützt auf die bekannten „Immer-schlimmer“- Thesen der Polizei, bedarf aber einer Erwiderung. Es ist ein Unterschied, ob jemand spätabends mit 130 durch den Britzer Tunnel brettert – oder mit derselben Geschwindigkeit über die Bülowstraße. Und wer ist gefährlicher: Der Nachts-über-die-Stadtautobahn-Heizer oder der Schnarchsack, der mit 45 Stundenkilometern, das Handy am Ohr, die von Gelb auf Rot wechselnde Ampel überfährt? Ignoranz und Genervtheit durch die Überampelung der Stadt haben sich zu einem gefährlichen Trend entwickelt – und gegen den helfen Blitzer nicht, bei denen die Polizei doch immer nur in Versuchung ist, mit geringem Aufwand viel Geld einzunehmen. Gegen diesen Trend helfen nur mobile Verkehrserziehungskommandos: Ampelsünder, Raser und die notorischen Rechte-Spur-Zuparker müssten zwei Monate lang erfahren, dass sie gleich nach der Ordnungswidrigkeit von einem motorradfahrenden Polizisten zur Rede gestellt werden. Das hätte mehr Wirkung als zwanzig neue Blitzer. Werner van Bebber

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