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Schule: Keine Zeit für Religion

Der volle Stundenplan durch Ethikunterricht und Turboabitur macht den Schülern so viel Stress, dass sie das Fach abwählen.

Die beiden großen Kirchen verlieren weiter in erheblichem Umfang Religionsschüler. Im laufenden Schuljahr besuchten rund 2600 Kinder weniger den konfessionellen Unterricht als noch vor zwei Jahren. Als Ursachen gelten die Einführung des verpflichtenden Ethikunterrichts und die zusätzliche Belastung infolge des verkürzten Abiturs.

Allein in den achten Klassen sank die Zahl der Kinder, die freiwillig den evangelischen Religionsunterricht besuchten, von rund 5400 im Vorjahr um über 900 auf 4490, was einem Rückgang von etwa 18 Prozent entspricht. In den siebten Klassen blieben von über 7000 Kindern 5700 übrig, wie das Evangelische Konsistorium sagte. Die Katholische Kirche verlor etwa 400 Religionsschüler.

Im Schuljahr 2006/07 mussten alle Siebtklässler mit dem zweistündigen Ethikunterricht an öffentlichen Schulen beginnen. Im ersten Jahr betrug der Teilnehmerschwund beim evangelischen Religionsunterricht 27 Prozent. Dass der Rückgang im zweiten Jahr etwas „ausgebremst“ werden konnte, führt Steffen-Rainer Schulz vom Evangelischen Konsistorium darauf zurück, dass es jetzt an 60 Schulen Kooperationen zwischen Ethik- und Religionslehrern gebe.

Diese haben einen entscheidenden Vorteil: Die Schüler müssen nicht mehr zwei Stunden Ethik plus zwei Stunden Religion besuchen, sondern insgesamt nur drei Stunden, weil beide Fachlehrer eine Stunde gemeinsam abhalten. Für Schüler, die durch das verkürzte Abitur ohnehin schon sieben bis acht Unterrichtsstunden pro Tag haben, ist es schon eine Erleichterung, wenn ihnen eine Stunde „erlassen“ wird. In den Schulen mit Kooperationen beobachtet Schulz denn auch eine „deutliche Steigerung“ der Teilnehmerquote.

Die Katholische Kirche macht ähnliche Erfahrungen. Auch hier hätten die Kooperationen mit den Ethiklehrern den Rückgang etwas aufhalten können, berichtet Rupert von Stülpnagel, Schulrat im Erzbistum Berlin. Insgesamt sei die Zahl der Religionsschüler in den siebten und achten Klassen um 17 Prozent zurückgegangen, was etwa 400 Schülern entspricht. Neun von vorher 116 Schulen böten inzwischen überhaupt keinen katholischen Religionsunterricht mehr an.

Bitter sind die Konsequenzen auch für die betroffenen Lehrer. Da pro Schule die Zahl der Religionsschüler sinkt, können die Pädagogen ihr Stundensoll nur noch erfüllen, indem sie zwischen zwei bis drei Schulen pendeln. „Viele werden dabei krank“, beklagt von Stülpnagel. Zudem wird der Religionsunterricht in die Randstunden verdrängt: Er findet fast ausschließlich in den ersten beiden oder in den letzten beiden Stunden statt. Dies aber bedeutet infolge des „Turboabiturs“, dass es auch die achte oder neunte Stunde sein kann.

Die Schwierigkeiten des Religionsunterrichts geben den Befürwortern einer Wahlmöglichkeit zwischen Ethik und Religion Auftrieb. Wie berichtet, hat die Bürgerinitiative „Pro Reli“ bereits 34 500 Unterschriften für einen Antrag auf ein entsprechendes Volksbegehren gesammelt; 20 000 Unterschriften hätten gereicht. Falls beim eigentlichen Volksbegehren 170 000 Unterstützerunterschriften zusammenkommen, kann der Volksentscheid in der zweiten Jahreshälfte folgen. Wenn es hier rund 600 000 Stimmen für ein Wahlpflichtfach gibt, muss der Senat sich daran halten, denn anders als bei der Entscheidung zu Tempelhof geht es hier um eine ausschließlich Berlin betreffende Angelegenheit.

Im Gegensatz zu CDU und FDP hoffen Linkspartei, Grüne und Teile der SPD, dass es bei der jetzigen Lösung bleibt. Aus zwei Gründen: Einige Abgeordnete wollen nicht, dass konfessioneller Unterricht zum regulären Schulfach aufgewertet wird, weil sie den Einfluss der Kirchen nicht stärken wollen. Andere begründen ihren Einsatz für „Ethik“ damit, dass nur dort alle Kinder zusammen über ihren Glauben diskutieren könnten. Denn falls das Wahlpflichtfach käme, würden sich die Oberschüler aufteilen in evangelischen, katholischen und islamischen Religionsunterricht sowie Ethik- und den eher atheistischen Lebenskundeunterricht, wie es schon jetzt in den Grundschulen passiert.

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