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Schulkinder

© Steinert

Schule: Wer mogelt, fliegt

Am Montag beginnt die Anmeldung der Erstklässler für das nächste Schuljahr - und schon gibt es wieder Aufregung. In Prenzlauer Berg soll es in diesem Jahr das Losverfahren nicht mehr geben, dafür aber Wohnort-Kontrollen.

Heute beginnt die Anmeldung der Erstklässler für das nächste Schuljahr – und schon gibt es wieder Aufregung in Prenzlauer Berg. Nach einem Anmeldechaos und den Sammelklagen der Eltern im letzten Jahr sind die Eltern der zukünftigen Erstklässler beunruhigt. Sie haben Angst, dass es zu wenig wohnortnahe Schulplätze für ihre Kinder gibt. Ein Brennpunkt ist das Bützowviertel.

Um auf die Situation aufmerksam zu machen, hat die Elterninitiative „Schulplätze im Kiez“ sämtliche Eltern im Einzugsgebiet der Homer-Grundschule aufgerufen, sich am Dienstag um 14 Uhr demonstrativ an dieser Schule anzumelden. Nach den Zahlen des Bezirksamt könnte das bis zu 100 Eltern betreffen, die Grundschule hat derzeit aber nur 45 Plätze für Erstklässler. „Eine Lösung für alle im Kiez“, fordern die Eltern. „Wir erwarten eine zügige Auskunft, wer einen Platz an der Homer-Grundschule bekommt und was die Alternative für die anderen ist“, sagt Dorthe Ferber, Mitglied in der Elterninitiative. Zudem haben die Eltern Vorschläge erarbeitet, sie sehen an der Homer-Grundschule noch Kapazitäten für eine zusätzliche Klasse. Eine schnelle Antwort, ob das möglich ist, würde alle beruhigen. Die Eltern wollen ein Chaos wie im vergangenen Jahr verhindern, deshalb kümmern sie sich frühzeitig.

Kletke Möckelmann ist eine von den Eltern, die im letzten Jahr um einen Platz an der Thomas-Mann-Grundschule gekämpft und gegen das Losverfahren geklagt hat. Mit Erfolg: Ihr Sohn Vincent geht seit diesem Schuljahr auf die Thomas-Mann-Grundschule. Doch ein einfacher Weg zum ersten Schultag war das nicht. Unzufriedene Eltern gibt es jedes Jahr, doch das Losverfahren, das die Kinder willkürlich über den Bezirk verteilte, eskalierte die Auseinandersetzung zwischen Eltern und Bezirksamt. Ein Gericht gab den Eltern recht: das Losverfahren war rechtswidrig.

Für die Schulstadträtin in Pankow, Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), steht fest, dass diese Jahr alles besser laufen soll. „Das Losverfahren wird es auf keinen Fall mehr geben“, erklärt die Stadträtin. Sie kann die Aufregung der Eltern bei der Schulwahl verstehen. Trotzdem mahnt Zürn-Kasztantowicz zur Ruhe. Erst nachdem alle Eltern ihre Kinder angemeldet haben, könne man endgültig entscheiden.

Um ein Chaos wie im letzten Jahr zu vermeiden, will die Stadträtin dieses Mal alle Fälle einzeln prüfen. Dann soll genau geprüft werden, welche Schulwege zumutbar sind, wie die sozialen Bindungen sind oder wo Geschwisterkinder zur Schule gehen. Und von den Eltern werden Nachweise verlangt, dass sie tatsächlich im Einzugsbereich wohnen. Bei Zweifeln werde es Kontrollen geben. Die Stadträtin stellt sich auf ein langwieriges Verfahren ein. Mehr Kinder bedeuten auch mehr Aufwand, den die geschrumpfte Behörde bewältigen muss. „Da darf keiner krank werden“, betont Zürn-Kasztantowicz mit Verweis auf die Personaleinsparungen im Bezirk. Die Stadträtin weiß, dass der Babyboom in Prenzlauer Berg sie weiter in Atem halten wird.

Schon jetzt reichen die Kapazitäten nicht. Im Ortsteil Prenzlauer Berg gibt es derzeit 14 Grundschulen. Im aktuellen Schuljahr werden dort 4 857 Kindern unterrichtet. Das Statistische Landesamt rechnet für das Schuljahr 2012/13 mit dann 7 194 Schülern in den sechs Klassenstufen. Bei diesen Berechnungen sind schon 15 Prozent Schüler abgezogen, von denen erwartet wird, dass sie nach der vierten Klasse auf ein Gymnasium oder eine Privatschule wechseln. „Das ist noch eine zurückhaltende Berechnung“, sagt Zürn-Kasztantowicz.

Die Rechtsanwältin Bettina Theben ist auf Schulrecht spezialisiert und hat Kletke Möckelmann bei der letzten Auseinandersetzung um die Schulplätze vertreten. Die Bereitschaft der Eltern, sich zur Wehr zur setzen, habe in den letzten Jahren zugenommen. Im Wettbewerb zwischen den Grundschulen müsse mehr Transparenz hergestellt werden, fordert die Anwältin. Warum einige Grundschulen einen guten und andere einen schlechten Ruf hätten, sei nicht immer nachvollziehbar. Deshalb sollten die Schulen offensiver über ihr Angebot informieren. „Eltern reagieren natürlich auf den Ruf der Schule, aber der Hype um manche Schulen ist einfach unverhältnismäßig“, meint Theben. Folge dieses „Hype“ waren die Scheinanmeldungen im Einzugsgebiet der Thomas-Mann-Grundschule im vergangenen Jahr. Damit das Kind die Schule mit einem besonders guten Ruf besuchen kann, meldeten sich einige Eltern zum Schein im Einzugsgebiet an. Am Ende denunzierten sich Eltern gegenseitig – „das war keine schöne Atmosphäre“, erinnert sich Kletke Möckelmann.

Auch im Babyboom-Stadtteil Friedrichshain werden die Schulplätze knapp. „2009 werden wir ein Problem haben", sagt die Friedrichshain-Kreuzberger Stadträtin für Jugend, Familie und Schule, Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen). Derzeit seien die Schulen im Bezirksteil Friedrichshain „proppevoll“ und stoßen an ihre Grenzen. Die Situation werde sich noch verschlimmern, wenn die Geburtenrate im Bezirk weiterhin ansteigt. Allein in Friedrichshain werden auf das Jahr 2007 hochgerechnet 400 bis 500 Kinder mehr geboren als noch im Vorjahr. Zuerst werden davon die Kindertagesstätten betroffen sein, dann werden mit entsprechender Verzögerung die Grundschulen mit voller Wucht vom Andrang getroffen.

Noch entspreche die Kapazität der Gebäude genau dem Bedarf der derzeit 3 400 Grundschüler. Doch im Jahr 2012/13 sollen es bereits 5 200 sein. Durch Baumaßnahmen reagiert Friedrichshain schon jetzt. So wird die Thalia-Grundschule auf Alt-Stralau bis zum Jahresende erweitert, bald folgt die Hausburgschule und laut Investitionsplan für das Jahr 2009/2010 soll die Moderssohnschule um ein Stockwerk aufgestockt werden. Insgesamt soll zusätzlich Platz für 450 Schüler geschaffen werden. „Es wird weiter Bedarf bestehen“, sagt Marina Belicke vom Bezirks-Schulamt angesichts der zu erwartenden Schülerzahlen. Erschwert werden die Planungen durch nicht vorraussehbare Faktoren. „Ein Bezirk wie Friedrichshain zieht viele Menschen an, die schon Kinder haben. Die sind dann sofort da“, sagte Monika Herrmann. Doch so kurzfristig kann der Bezirk kaum reagieren, weil viele Investitionsplanungen bis 2012 festgeschrieben sind. Eine Arbeitsgruppe soll für den Bezirk jetzt Lösungen erarbeiten, zumal ein Kinder-Boom nicht nur die Schulen betrifft. Mehr Kinder bedeuten auch mehr Aufwand in der Verwaltung oder bei Freizeitangeboten. „Das ist ein Problem, das wir ganzheitlich anpacken müssen“, sagt Stadträtin Herrmann.

In Prenzlauer Berg sollen kurzfristig zusätzliche Klassen und eine neue Schule die Lösung bringen. In das Gebäude der Karl-Friedrich-Realschule soll eine neue Gemeinschaftsschule einziehen. „Sollte der Senat seine Zustimmung zur Gemeinschaftsschule nicht geben, wird es einfach eine Grundschule“, erklärt Schulstadträtin Zürn-Kasztantowicz. Die neue Schule hat kein Einzugsgebiet und wirbt mit einem besonderen pädagogischen Konzept. Den meisten Eltern im Bützowviertel hilft die neue Schule allerdings nicht. „Für mich ist das keine Lösung, von uns aus sind das drei Straßenbahnstationen. Das ist einfach zu weit für meinen Sohn.“

Mutter Kletke Möckelmann ist froh, dass für ihren Sohn alles gut gelaufen ist, aber sie wünscht sich von der Politik mehr Weitsicht. „Klar, man kann immer mehr Klassen eröffnen, aber die Kantine oder der Schulhof bleiben zu klein.“ Die Kinder gehen in Schichten auf den Schulhof. Kürzlich hospitierte Kletke Möckelmann beim Sportunterricht ihres Sohnes: 57 Kinder tobten in einer Turnhalle, der Platzmangel war offensichtlich. Der Mutter ist klar, dass der Kampf um die Ausbildung des Sohnes in eine neue Runde geht. „Ich werde ein Jahr Luft holen und dann muss ich gucken, wie es mit den weiterführenden Schulen weiter geht“, scherzt Kletke Möckelmann.

Matthias Jekosch, River Tucker

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