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Schläge im Kiez. Die Bewohner des Hausprojekts werden bedroht.

© Mike Wolff

Schutzgelderpressung: Nachbarschaftskrieg in Wedding

Eine gewalttätige Bande randaliert, schlägt zu, schüchtert ein. Die Polizei kennt das Problem – aber von Schutzgelderpressung weiß sie nichts.

Im Fall der angeblichen Schutzgelderpressung bei dem linken Hausprojekt „Scherer 8“  in Wedding hat jetzt die für organisierte Kriminalität zuständige Abteilung des LKA die Ermittlungen übernommen. Dies sagte die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers dem Tagesspiegel. Am Sonntag hatten Bewohner des Hauses in der Schererstraße bekanntgegeben, dass sie von einer Gruppe namens „Streetfighters“ erpresst würden. Diese „enorme Schutzgeldforderung“ richte sich gegen „die Kneipe und den Infoladen des Hausprojekts“. Zudem kritisierten Bewohner die offizielle Linie der Hausgemeinschaft, nicht über Angriffe und Schutzgeldforderungen zu sprechen.

Die Polizei hat nach offiziellen Angaben keine Erkenntnisse über eine Erpressung von Schutzgeld durch diese Gruppe, deren „Präsident“ der 38-jährige Kurde Ahmet A. ist. Ermittler berichten, dass es aber beispielsweise in kriminellen kurdischen Kreisen vorkomme, Geld von Geschäftsinhabern zu erpressen, um die PKK zu unterstützen. Sonst sei das Phänomen Schutzgelderpressung offiziell kaum bekannt in Berlin.

Die „Streetfighters“ haben sich wie berichtet im vergangenen Sommer zusammengeschlossen. Nach letzten Erkenntnissen der Polizei gehören ihr 23 junge Männer mit „zumeist türkischen Migrationshintergrund“ an, wie es in einem Bericht der Polizei heißt. Alle sind wegen Gewaltdelikten polizeibekannt, einige als Intensivtäter. Sie werden als „rockerähnliche“ Gruppierung beschrieben, die aber „nur regional begrenzt agiert“. Ihr Clubhaus haben die Fighters genau gegenüber dem Haus „Scherer 8“.

Begonnen hatte der Streit offenbar im Juli vergangenen Jahres, als Gangmitglieder gegen das Haus auf der anderen Straßenseite urinierten. Als Antwort flog eine Flasche aus dem linken Hausprojekt, die andere Seite warf daraufhin Steine. Am Wochenende eskalierte der Streit, als 30 Streetfighters mit Baseballkeulen in das Wohnprojekt eindrangen. Einen Abend später wurden zwei Musiker, die in der Scherer 8 auftraten, attackiert. Die Spuren dieser Angriffe sind noch deutlich zu sehen: Das Fenster ist demoliert, das Glas ist gesplittert. Daneben hängt ein selbstgeschriebenes Plakat, auf dem zweimal pro Woche eine Sozialberatung angeboten wird, dazu der Slogan „Gegen den Zwang zur Lohnarbeit“. Ein junger Mann, Bierflasche in der einen, Zigarette in der anderen Hand, kommt aus dem Haus. Reden möchte er über die Vorkommnisse nicht. „Hau ab!“, sagt er.

Die Geschäftsleute im Kiez wissen von dem Streit unter ihren Nachbarn. Aber von Schutzgeld haben sie hier nichts gehört, zumindest nicht offiziell. Ein Geschäftsmann erzählt, er wisse lediglich, dass es seit dem Sommer oft Streit zwischen den Jugendlichen und den Linksalternativen gab. Er sagt: 30 junge Leute hätten feste Mietverträge in dem linken Hausprojekt, 70 weitere Freunde von ihnen lebten übergangsweise dort. „Das sind eigentlich friedliche Leute. Die bieten unten in ihrem Laden Beratungen an für die Bürger im Kiez.“

Auch die „Streetfighters“ erkenne man schnell – zum Beispiel an ihrem Logo: eine hochgereckte Faust auf schwarzem Grund. Zur Gang gehöre vor allem, verbal aufzumuskeln, erzählt ein Ermittler der Polizei. So agieren die selbst ernannten Straßenkämpfer wohl eher frei nach Klaus Kinskis Spruch „Wer die Show macht, ist der Boss.“ Da werden gerne einschüchternde Geschichten erzählt, da posiert man auch schon mal in einem Musikvideo in Macho-Pose, rappt Gewaltverherrlichendes und Sexistisches oder lässt sich mit einer Machete fotografieren. Die Fensterscheiben des Clubhauses sind mit Folie zugeklebt. Auf das Klopfen öffnet ein älterer, langhaariger Mann. „Wir sagen nichts. Wir wissen nichts. Hier ist auch niemand“. Dann knallt die Tür wieder ins Schloss.

Heftig wird auf linken Internetseiten über den Streit innerhalb des Hauses und auch der linksalternativen Szene diskutiert. Da man nicht als ausländerfeindlich gelten wolle, „hält man offensichtlich die Klappe“, kritisieren zahlreiche Wortbeiträge. „Wer als Linker ständig für Multikulti demonstriert, der muss dann auch irgendwie mit der nackten Realität klarkommen“, heißt es beispielsweise. Auf der offiziellen Seite war von einer „brodelnden Gerüchteküche“ zu lesen.

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