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Berlin: Seit Montag kämpft die Belegschaft um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und schläft dafür sogar zwischen den Maschinen

Einen Hobby-DJ in den Reihen zu haben, ist ganz schön praktisch und stimmungsfördernd. Über ungeübte Musikbeschallung brauchen sich die Fabrikbesetzer von Alcatel nicht zu beklagen: Sie haben "Thommy", und der sorgt dafür, dass der richtige Ton getroffen wird.

Einen Hobby-DJ in den Reihen zu haben, ist ganz schön praktisch und stimmungsfördernd. Über ungeübte Musikbeschallung brauchen sich die Fabrikbesetzer von Alcatel nicht zu beklagen: Sie haben "Thommy", und der sorgt dafür, dass der richtige Ton getroffen wird. Thomas "Thommy" Scholz, seit 24 Jahren dort beschäftigt, hat seit Montag seine semi-professionelle Anlage, die sonst auf Hochzeiten und anderen Feiern zum Einsatz kommt, im Werk aufgebaut und bietet seinen rund 100 Kollegen, die wie er nun schon einige Tage ihr Werk an der Neuköllner Sonnenallee besetzt halten, ein umfangreiches Musikprogramm. Es herrscht beinahe Volksfeststimmung dort, wo sonst Daten- und Sicherheitskabel gefertigt werden.

Ehrensache, jeden prominenten Gast angemessen musikalisch zu begrüßen. "Horch, was kommt von draußen herein . . ." schallte gestern Walter Momper entgegen, als er das Werksgelände betrat und den Alcatel-Beschäftigten seine Solidarität bekundete. Politischer Besuch wird bei den Werksbesetzern gern gesehen. Er sichert ihnen die benötigte Medienöffentlichkeit. Aber Gewerkschaftsfunktionäre oder Kollegen aus anderen Betrieben werden ebenso herzlich begrüßt. Der Jimmy beispielsweise wie alle hier den Betriebsratsvorsitzenden Dimitros Mamouris vom Alcatel-Schwesterwerk SEL in der Tempelhofer Colditzstraße nennen. Für den erklingt natürlich auch eine Fanfare.

Seit Sonnabend 22.30 Uhr ruht bei Alcatel die Arbeit. Mit Beginn der Frühschicht am Montagmorgen um 6 Uhr begannen die Beschäftigten die Besetzung der Fabrik. Sie wollen verhindern, dass die französische Konzernleitung das Neuköllner Werk schließt und somit ihre Arbeitsplätze vernichtet. Bereits am 24. August hatten sie schon einmal für 24 Stunden den Betrieb besetzt gehalten, als Warnsignal sozusagen. Neben Momper ließ sich damals unter anderem auch der Berliner CDU-Generalsekretär Volker Liepelt hier blicken. Jetzt war schon die PDS-Landesvorsitzende Petra Pau da, Gregor Gysi wird in den nächsten Tagen noch erwartet, ebenso verschiedene Bundestagsabgeordnete. Heute Nachmittag soll der Schauspieler Jürgen Vogel vorbeischauen, kurz darauf ein Professor von der Freien Universität. Es gibt einen Aktionsplan für die Besetzung: Freitag 7.30 Uhr Beginn der Demonstration zum Roten Rathaus, 22 Uhr Filmnacht, Sonnabend 15 Uhr Familiennachmittag mit Kinderprogramm.

Organisatorisch ist alles gut durchdacht. Dafür sorgt der Apparat der IG Metall, der in dem Werk auf einen hohen Organisationsgrad zurückgreifen kann. Die Gewerkschaftssekretäre sind rund um die Uhr auf dem Gelände vertreten. Der Berliner Verwaltungsstellenchef Arno Hager verbringt auch die Nächte im Kreis der Werksbesetzer. Die haben ihre Luftmatratzen, Isomatten oder Liegen in Büros und zwischen Kabeltrommeln in den Werkshallen aufgebaut. Eine Hängematte ist direkt am Kabelschacht für eine Maschine befestigt. Ein Pappschild mit grellroten Buchstaben weist die Liegestatt als "Hotel Alcatel" aus.

Mit Listen werden Frühstücks- und Abendessendienste sowie Toilettenreinigung geregelt. Das Mittagessen bringt die IG Metall. Auch das Problem, wie die nächtliche Torwache an ihren Kaffee kommt, wird nicht vergessen. Denn die Wache nehmen die Besetzer ziemlich wichtig: "Hier kommt keiner rein, der nicht rein soll." Besucher müssen sich mit Ankunftszeit eintragen und auch wieder abmelden, die Aktion soll nicht wegen Unachtsamkeit platzen. Wie lange wollen sie weitermachen? "Bis wir die Konzernleitung am Verhandlungstisch haben - das liegt an Alcatel", sagt Wolfgang Klose, der Betriebsratsvorsitzende, und alle um ihn herum pflichten ihm bei. Eine unbegrenzte Betriebsbesetzung, das hat es ihres Wissens in Berlin zuletzt in den Jahren der Weimarer Republik gegeben.

Von ihrer Aktion sind sie überzeugt. "Wir mussten was machen", sagt einer. "Wir wollen unsere Arbeit erhalten", sagte ein anderer. "Uns blieb ja nichts anderes übrig. Hier kriegt doch sonst keiner mehr Arbeit", sagt Gerhard Wolf, seit seiner Lehre zum Kabelwerker vor 16 Jahren im Betrieb. Wolf kennt die Daten der Belegschaft gut: Das Durchschnittsalter betrage 39 Jahre bei 14 Jahren Betriebszugehörigkeit. "Wir sind eine junge Mannschaft." Die Beschäftigten sehen nicht ein, warum Alcatel ausgerechnet ihr Werk schließen möchte, obwohl doch am Berliner Standort schwarze Zahlen geschrieben würden. Die Auftragsbücher für die hier produzierten verschiedenen Kabeltypen seien gefüllt. Zur Zeit verlässt jedoch keine einzige Kabeltrommel das Neuköllner Gelände. "Die Kunden warten schon dringend darauf", sagt Wolf. Aber die Sorgen der Abnehmer interessieren die Besetzer nicht, sie haben ihre eigenen.

Schräg gegenüber vom Alcatel-Gelände sitzen diejenigen, die auch jetzt das Werk in Betrieb sehen wollen. Im Hotel Estrel haben die Werksleitung und einige Mitarbeiter aus Vertrieb und Verwaltung ihr Lager aufgeschlagen und halten in einem Konferenzraum die Kommunkation zu Geschäftspartnern aufrecht. "Ich halte die Besetzung für illegal, deshalb mache ich nicht mit", sagt einer, der im Hotelbüro Dienst schiebt. Im Estrel laufen auch die Telefonate auf, denn die Leitungen sind umgestellt. Betriebsrat Klose vermutet, dass die gesamten Solidaritätsadressen dort aufgelaufen sind: "Ist aber gut, wenn die das mal sehen." Ansonsten sind die Besetzer nicht gut auf die Alcatel-Leute im Estrel zu sprechen: "Das sind die Streikbrecher." Lässt sich jemand von der Werksleitung auf der Straße sehen, ertönt ein gellendes Pfeifkonzert. Mehr aber auch nicht. Und bald schon wieder tönt es aus Thommys Boxen.

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