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Berlin: "Sensation" - Die britische Künstlerin stellt im Postfuhramt aus

Als die junge britische Kunst Anfang der Neunziger tatsächlich sensationell und neu war, gehörte Sarah Lucas (Jahrgang 1962) zu jenen Künstlerinnen, die wesentlich dazu beitrugen, die Provenienz von der Insel in ein Trademark innovativer Kunst zu verwandeln. Bekannt geworden ist sie mit ihren als sexuelle Metapher besetzten Obst & Gemüse-Stillleben (Gurke aufrecht in Matratze steckend neben Melonen plus Eimer) und ihren Strumpfhosen-Bunnies in beige-brauner Playboy-Optik.

Als die junge britische Kunst Anfang der Neunziger tatsächlich sensationell und neu war, gehörte Sarah Lucas (Jahrgang 1962) zu jenen Künstlerinnen, die wesentlich dazu beitrugen, die Provenienz von der Insel in ein Trademark innovativer Kunst zu verwandeln. Bekannt geworden ist sie mit ihren als sexuelle Metapher besetzten Obst & Gemüse-Stillleben (Gurke aufrecht in Matratze steckend neben Melonen plus Eimer) und ihren Strumpfhosen-Bunnies in beige-brauner Playboy-Optik. Inzwischen gehört der Hype um die "Young British Art" zur Vergangenheit und diese Kunst zur Grundausstattung jedes besseren Museums. Der plötzliche Skandal um die "Sensation"-Ausstellung, der momentan New Yorks konservative Gemüter erhitzt, lässt Lucas denn auch ziemlich kalt. Arbeiten von ihr - etwa besagtes Matratzen-Objekt namens "Au Naturel" - gehören zwar auch zu der von Bürgermeister Giuliani inkriminierten Saatchi-Sammlung, dennoch hat die transatlantische Aufregung um das Geistige in der Kunst für sie eher den Status einer präzise kalkulierten Aktion. Saatchi hat die Brit Art zur Warenform erklärt, jetzt muss er sich um die "Geld zurück"-Forderungen kümmern.

Sarah Lucas hat offensichtlich anderes zu tun, als das offizielle Schicksal ihrer zurückliegenden Produktion zu beklagen. Im Innenhof des Postfuhramts in Berlin-Mitte baut sie gerade eine neue Ausstellung auf und verwandelt den Abbruch-Charme einer alten Autowerkstatt in jene Eleganz des Ordinären, die ihre skulpturalen Installationen selbst noch im klinisch weißen Museumsambiente ausstrahlen. Rotzige Direktheit mit dezidiert sexuellem Subtext ist die Devise, ob "white cube" oder redefinierter Alltagsraum. Doch die heruntergekommene Werkstatt an der Auguststraße sieht schon in natura aus wie die Unterklassen-Tristesse aus braunem PVC, die Lucas im Museum inszeniert. Das Büro der Automechaniker wird die überzeugte Raucherin mit ein wenig Intervention in einen "Smoking Room" der anderen Art verwandeln. In der Mitte ein Staubsauger, vollständig mit Zigaretten umklebt, darüber ein BH, dem ebenfalls mit Zigaretten umhüllte Kugeln das nötige Volumen geben: Hausfrauenschicksal und Pin-Up-Klischee, vernebelt von blauem Dunst. Ihre Assistenten sitzen derweil noch da und kleben schachtelweise Marlboros auf das Reinigungsgerät und jene bunten Kinderbälle, die später als Busen-Substitut figurieren sollen. In der Halle nebenan steht bereits eine Badewanne einbetoniert im Raum, und eine braune Papp-Hütte wird demnächst zur Voyeurskabine, in der man in abstrakter Vereinfachung einen mechanischen Arm das tun sieht, was Männer üblicherweise tun, wenn sie in Peep-Shows gehen.

Als "in-the-face-feminism" hat man die Arbeiten von Sarah Lucas oft bezeichnet, als kalkulierten Schlag ins Gesicht, der sich die Macho-Attitüde des anderen Geschlechts aneignet und in Umwertung aller Werte intelligente Querschläger daraus bastelt. Therapeutische Leidensaufarbeitung und postfeministisches Sich-Arrangieren sucht man hier vergeblich. Auf ihren Selbstporträts, die oft Bestandteil ihrer Arbeiten sind, blickt Lucas gern maskulin grimmig in die Kamera, Zigarette im Mundwinkel und manchmal auch Spiegeleier genau dort auf den Pullover gepappt, wo der männliche Primärinstinkt den Blick angeblich zuerst hinwendet. Doch der Gestus solcher Posen gehört mit zu einem Programm, das genauso viel subversiven Hintersinn kennt wie intelligenten Humor. Als sie sich ans Steuer des abgewrackten BMW im Ausstellungsraum setzt, hinter dem eine Armprothese automatisch jene Bewegungen im Genitalbereich ausführt, für die George Michael im prüden Amerika ziemlich viel Ärger bekam, hat sie sichtlich Spaß an ihrer privaten Gender-Performance. Und eines der Fotos mit dem anstößigen Winkelement in Aktion wird sie vielleicht auch an New Yorks Bürgermeister Giuliani schicken, damit er endlich was Neues hat, über das er sich aufregen kann. Jetzt aber erstmal ein Bier.Die Ausstellung "Beautiness" von Sarah Lucas wird am Sonnabend eröffnet. Auguststraße 5 (Hof Postfuhramt), 19-21 Uhr.

Vanessa Müller

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