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SERIE WENDEKalender: 30. Juni 1989

In den Westen telefonieren? Nur um 20 Uhr – wenn die „Tagesschau“ läuft

JAHRE

MAUERFALL

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Die Telefonverbindungen zwischen Ost und West sind weiterhin so mies, dass der Sprecher der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, Eberhard Grashoff, erklärt: „Wenn wirklich was passiert, nehme ich das Auto, fahre über den Grenzübergang Invalidenstraße nach West-Berlin und renne dort in eine Telefonzelle. Das ist immer noch die schnellste Verbindung.“

Das haben auch die Stasi- Spitzel des Sprechers mitbekommen. Die Lieblingstelefonzelle von Grashoff ist verwanzt, genau wie drei weitere grenznahe Telefonzellen. Eine andere Methode, erfolgreich zu telefonieren, ist die fürsorgliche Bestechung von Telefonistinnen, denn viele Verbindungen müssen noch per Hand vermittelt werden. Gespräche in den Westen seien ohnehin nur von Ost-Berlin oder Potsdam aus möglich, am besten während der relativ unbelasteten Primetime: „Um 20 Uhr und 10 Sekunden hast du eine Chance. Da sehen alle die Tagesschau“, erzählt eine Ost-Berliner Lehrerin. Oft gibt es auch unfreiwillige Telefonkonferenzen mit unbekannten Teilnehmern. „Da habe ich plötzlich Tante Emma aus Rostock und Tante Paula aus Wismar in der Leitung“, sagt ein Diplomat. In folgenden Fällen sei vom Telefonieren ohnehin abzusehen: „Wenn es regnet, geht nichts. Ab 16 Uhr geht auch nichts. Und außerhalb Ost-Berlins geht schon gleich gar nichts.“ Nach Angaben des Bonner Postministeriums führen 48 Direktleitungen aus der DDR in den Westen, hinzu kommen 72 „mittelbare“, also über eine Vermittlungszentrale schaltbare Leitungen.

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