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Berlin: Sexueller Missbrauch: Bloß nicht die Ehre der Familie verraten

Sexueller Missbrauch von Kindern ist in ausländischen Familien ein noch größeres Tabuthema als in deutschen. Es werden viel weniger Fälle angezeigt.

Sexueller Missbrauch von Kindern ist in ausländischen Familien ein noch größeres Tabuthema als in deutschen. Es werden viel weniger Fälle angezeigt. Nach einer Statistik des Landeskriminalamts waren 1999 nur 15 Prozent der Opfer nichtdeutscher Herkunft. Auch in die Beratungsstellen kommen kaum ausländische Jugendliche oder Kinder.

Die Dunkelziffer sei vermutlich enorm, sagt die Ausländerbeauftragte von Friedrichshain-Kreuzberg, Hildegard Josten. "Die betroffenen Kinder werden praktisch allein gelassen." Es fehle an Fachkräften aus anderen Kulturen, die Präventionsarbeit leisten könnten. "Ohne diese Brücke kommen wir nicht an die Eltern heran", so Josten. Polizei, Sozialarbeiter und Psychologen gehen davon aus, dass in Deutschland lebende Kinder ausländischer Herkunft ebenso häufig von sexuellem Missbrauch betroffen sind wie deutsche. Aber die Diskussion darüber und die Präventions- und Therapieangebote, die es seit Anfang der 80er Jahre gibt, haben die Migranten bislang nicht erreicht, sagt Hildegard Josten.

In Berlin treffen sich in dieser Woche Mitarbeiter von Beratungsstellen und Behörden zu einer Fachtagung über "Möglichkeiten präventiver Arbeit bei sexuellem Missbrauch an Kindern im interkulturellen Kontext". Die Kreuzberger Ausländerbeauftragte schildert das Problem des bezirklichen "Fachteams Kinderschutz" so: "Wenn deutsche Sozialarbeiter in Schulen oder Kitas vor mehrheitlich nichtdeutschen Eltern sprechen, sagen die: Das ist ein deutsches Problem." Sexueller Missbrauch komme wohl eher in den freizügigeren deutschen Familien vor, vermutete etwa ein türkischstämmiger Vater.

Gerade bei diesem Thema schotteten sich Migrantenfamilien ab, stellt die Jugendstadträtin von Kreuzberg-Friedrichshain, Cornelia Reinau, fest. "Das Jugendamt hat keinen Zugang mehr zu diesen Familien." Auch sie wünscht sich vor allem mehr türkischsprachige Mitarbeiterinnen, aber auch mehrsprachige Informationsbroschüren für die Eltern. Die dafür nötigen Mittel seien aber nicht da.

Mit einer anderen Religion in einem kulturell ganz anders geprägten Land zu leben, ließe Migrantenfamilien enger zusammenrücken, sagt Sigrid Richter-Unger, Leiterin der Beratungsstelle "Kind im Zentrum" des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks. Da sei das Tabu, über den Missbrauch zu sprechen, besonders groß. Im Verständnis der Kinder - und auch ihrer Verwandten - hieße das, die Ehre der Familie zu verraten. Kindern aus streng religiösen Familien mit einer ausgeprägten Hierarchie - seien es muslimische oder polnisch-katholische - falle es auch besonders schwer, "Nein" zu sagen zu Berührungen, die ihnen unangenehm seien. Von der Tatsache aber, dass Missbrauch sehr viel häufiger in der Familie als außerhalb geschieht, sind Kinder von Zuwanderern ebenso betroffen wie deutsche.

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