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Berlin: Shopping-Center mit Gleisanschluss

Die Bahn freut sich auf gute Geschäfte am neuen Hauptbahnhof. Doch das Umfeld liegt vorerst brach

Der Bundeskanzler kann vom künftigen Berliner Hauptbahnhof nach Hause laufen. Außer ihm aber kaum jemand. Denn der Lehrter Bahnhof hat nur wenige Nachbarn und momentan auch keine Geschäfte in seinem Umfeld. Deshalb werden die Reisenden des Hauptbahnhofs auf die Läden im Bahnhofsgebäude angewiesen sein. Im 90-Sekunden-Takt sollen ab 2006 rund 1750 Züge mit 300 000 Reisenden das Gebäude passieren, darunter allein 110000 Ein-, Aus- und Umsteiger im Bereich des Fern- und Regionalverkehrs. Alles potenzielle Kunden für die Läden, so die Werbung der Bahn. Nicht nur Fahrgäste sollen Umsatz bringen. „Jeder Zweite, der sonntags in unsere Bahnhöfe kommt, will nicht reisen, sondern einkaufen.“

Entsprechend gefragt sind die dortigen Verkaufsflächen: Bahn-Sprecher Holger Auferkamp spricht von „einem richtigen Run“ auf die rund 59000 Quadratmeter Mietfläche.

Das ist mehr als das Vierfache an Fläche, die im Bahnhof Zoo zur Verfügung steht (13100 Quadratmeter). Ein knappes Jahr vor der Eröffnung wurde die Standortwerbung gestoppt, weil es mehr als genug Interessenten gibt. 15000 Quadratmeter Verkaufsfläche, verteilt auf drei Ebenen, wird es im eigentlichen Bahnhof geben. Dazu kommen 44 000 Quadratmeter für Büro- und Hotelnutzung in den beiden so genannten Bügelbauten. Beworben haben sich laut Auferkamp „sehr renommierte Firmen“. Man führe Gespräche mit „allen nationalen und internationalen Größen.“ Im Herbst sollen die Verträge unterzeichnet sein, dann will man Namen nennen.

Von der geplanten Umfeldbebauung wird indessen nichts zu sehen sein, wenn die Station im Mai nächsten Jahres ans Netz geht. Das Quartier kommt nur zögerlich voran. Dabei sollten die ersten Gebäude des „Quartiers Lehrter Bahnhof“ bereits in diesem Jahr fertig sein, wie es noch immer auf der Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt.

Eigentümer der Flächen ist die Frankfurter Vivico Real Estate GmbH. Sie gehört nicht der Deutschen Bahn, sondern dem Bundeseisenbahnvermögen, einer Bundesbehörde. Vivico-Sprecher Wilhelm Brandt will sich nicht zu einem Zeitplan äußern. Gebaut werde nicht auf Verdacht, man setze auf „maßgeschneiderte Lösungen für künftige Nutzer“. Das Interesse sei groß, besonders für die Flächen zwischen Bahnhof und Kanzleramt, so Brandt.

„Der neue Bahnhof ist sich selbst genug – die Umgebung befruchtet er nicht“, befürchtet hingegen Nils Busch-Petersen vom Einzelhandelsverband Berlin-Brandenburg. Auch Mittes Wirtschaftsstadtrat Dirk Lamprecht (CDU) sieht keine positiven Folgen für die Einzelhändler außerhalb des neuen Hauptbahnhofs. Lediglich die Turmstraße in Moabit werde „weiterhin der Nahversorgung dienen“.

Dass sich so wenig im Umfeld des Lehrter Bahnhofs tue, sei besonders bedauerlich, denn auch rund um den Bahnhof Zoo befürchten laut Busch-Petersen die meisten Händler, Gastronomen und Hotelbetreiber starke Umsatzeinbußen, wenn die Bahn an ihren Plänen festhält und den Zoo zum Nahverkehrsbahnhof herabstuft. Sollten dort keine Fernzüge mehr halten, „werden die Folgen dramatisch sein“, heißt es im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Immerhin werden wohl „die Geschäfte innerhalb des neuen Bahnhofs gut funktionieren – auch wegen der längeren Öffnungszeiten“, glaubt Einzelhandelsexperte Jochen Brückmann von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin.

Für potenzielle Mieter innerhalb des Bahnhofsgebäudes hat die Bahn das Kaufverhalten der Reisenden analysiert. So nehmen sich Privatreisende im Durchschnitt 30 bis 60 Minuten Zeit, um sich mit Reiseproviant und Andenken einzudecken. Geschäftsreisende bleiben maximal 20 Minuten, um sich Lesestoff zu besorgen, einen Imbiss einzunehmen oder schnell etwas einzukaufen. Weniger als 15 Minuten haben Pendler Zeit für ein schnelles Frühstück, einen Snack, die Zeitung oder Artikel des täglichen Bedarfs. Anwohner aus dem angrenzenden Viertel schauen täglich im Schnitt für zehn Minuten vorbei, um nach Ladenschluss Vergessenes zu besorgen.

Auf drei der fünf Bahnhofsebenen sind je zwei Shoppinggalerien und Gastronomie vorgesehen. Daneben soll ein breites Dienstleistungsangebot vom Autovermieter bis zu Wellness entstehen.

Die Bahn veröffentlichte Pläne, auf denen 62 Geschäftsräume von 30 bis 1400 Quadratmetern vorgesehen sind. 23 davon befinden sich im unteren Zwischengeschoss mit direktem Übergang zum Parkhaus mit 900 Stellplätzen. 27 weitere Geschäfte, darunter ein großer Modemarkt und ein großes Restaurant, entstehen im Bereich der ebenerdigen Bahnhofshalle. Im oberen Zwischengeschoss sind zwölf Läden und Serviceflächen der Bahn geplant, darunter das DB-Reisezentrum, eine Lounge und das Kundenzentrum der S-Bahn.

Auch über die vorgesehenen Branchenmischung geben die Pläne Auskunft. Danach werden die Geschenkartikel mit 17 Läden dominieren, gefolgt von zwölf Modegeschäften und elf Gastronomiebetrieben. Jeweils acht Flächen sind für Lebensmittel sowie Gesundheit und Wellness vorgesehen, sechs für Service und Dienstleistungen.

Zwei zwölfgeschossige Bügelbauten bieten eine weitere Vermietfläche von insgesamt 44 000 Quadratmetern. Die beiden jeweils 46 Meter hohen Bügelbauten werden zurzeit in Nord-Süd-Richtung über den eigentlichen Bahnhof gebaut, um dessen Kreuzungsfunktion architektonisch zu betonen. Die zwölfgeschossigen Gebäude werden die 27 Meter hohe Bahnhofshalle überragen. Während in einen der Bügelbauten ein Hotel ziehen könnte, will die Bahn mit Büros aus anderen Berliner Standorten in das zweite Gebäude ziehen. Entscheidungen sind aber noch nicht gefallen.

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