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Kameras überwachen viele U-Bahnhöfe. Im Notfall können sie eine Prügelattacke nur aufzeichnen - nicht verhindern.

© dapd

Sicherheit auf Bahnhöfen: Kameras sind nicht genug

Nach der Prügelattacke im Bahnhof und der schnellen Freilassung des Täters übt auch die Polizeigewerkschaft Kritik. Die BVG will ihr Sicherheitskonzept ändern.

Der brutale Angriff auf den 29-jährigen Markus P. auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße hat eine neue Debatte über den Umgang mit jungen Gewalttätern ausgelöst. Wie berichtet, wurde der Mann am Sonnabend auf dem Bahnsteig von zwei Männern angegriffen, verprügelt und bis zur Bewusstlosigkeit auf den Kopf getreten. Mehrere Polizeigewerkschaften verlangten am Dienstag rasche Veränderungen: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte erneut eine stärkere Polizeipräsenz und mehr Sicherheitspersonal in den U- und S-Bahnen. Es sei kein Wunder, wenn jugendliche Täter den öffentlichen Raum mittlerweile als rechtsfrei betrachteten, sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut. Er sprach von einer „völlig inakzeptablen Geringschätzung der Kriminalitätsopfer“. Joachim Lenders von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte die Einführung eines Warnschussarrests für junge Straftäter: „Es kann nicht sein, dass nach einer solchen Prügelattacke die beiden 18-Jährigen auf freien Fuß gesetzt werden.“ Der Arrest soll kurz nach der Tat verhängt werden können und insbesondere bei Ersttätern vermeiden, dass die Tat nur mit einer Bewährungsstrafe geahndet wird.

Polizeipräsident Dieter Glietsch warnte am Dienstag vor voreiligen Schlüssen. Die erschreckende Brutalität dieser Gewalttat eines jungen Mannes aus „geordneten Verhältnissen“ mache deutlich, dass die Ursachen solcher Gewaltausbrüche vielfältig seien und die Taten individuell bewertet werden müssten, sagte Glietsch. Wann, wo und aus welch nichtigem Anlass solche Taten begangen würden, sei von Zufällen abhängig. Deshalb ist es nach Ansicht des Polizeipräsidenten nicht damit getan, „nach noch mehr Polizeipräsenz in der U-Bahn zu rufen“.

Der Deutsche Richterbund verteidigte am Dienstag die Haftverschonung des mutmaßlichen Täters. Der Berliner Verbands-Vorsitzende Stefan Finkel sagte, es gebe in der Bundesrepublik gesetzliche Regelungen, wann jemand in Untersuchungshaft genommen und wann er verschont werde. „Da es sich hier um einen unvorbestraften Heranwachsenden handelt, der sich selbst gestellt hat und der die Tat voll umfänglich eingeräumt hat, liegen nach Auffassung des Gerichts offensichtlich die Voraussetzungen für eine Haftverschonung vor.“

Das Opfer der Tat, das ein Schädelhirntrauma und einen Nasenbeinbruch erlitten hatte, konnte bereits am Montagabend das Krankenhaus verlassen. Seine Familie ist nach wie vor empört darüber, dass der Tatverdächtige auf freien Fuß gesetzt wurde. „Ich würde hier eine Wiederholungsgefahr nicht per se ausschließen, aber gegen den Haftverschonungsbeschluss können wir juristisch nichts machen“, sagt der Jurist Thomas Kämmer, der von der Familie als Beistand beauftragt wurde. „Wir werden jetzt aber eine ergänzende Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen stellen.“ Aus Sicht von Kämmer zeigen die Tritte auf den Kopf einen „menschenverachtenden Vernichtungswillen“, der bei Mord als niederer Beweggrund gilt. Er kritisierte, dass lediglich wegen versuchten Totschlags ermittelt wird. „Die Staatsanwaltschaft hat auch die Pflicht, die Interessen des Opfers zu vertreten.“ Falls nötig, werde die Familie versuchen, mit einem sogenannten Klageerzwingungsverfahren den Tatvorwurf des versuchten Mordes in die Anklageschrift zu bringen. „Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen“, hieß es am Dienstag von der Staatsanwaltschaft. Sollten sich neue Hinweise ergeben, könne der Tatvorwurf möglicherweise noch auf versuchten Mord erweitert werden.

„Auch wenn es in der medialen Öffentlichkeit anders empfunden wird: Die vorhandenen Möglichkeiten unseres Rechtssystems sind von der Berliner Gerichtsbarkeit angewendet worden“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Bernd Carstensen. Wichtig sei eine schnelle Anklage vor dem Jugendgericht. „Die Täter dürfen nicht den Eindruck gewinnen, ich gehe mal schnell zur Polizei, erzähle, was stattgefunden hat, und bin fertig damit.“

Die BVG hält die U-Bahn nach wie vor für sicher. Monatlich würden 10 bis 15 Attacken unter Fahrgästen gemeldet, bei insgesamt rund 40 Millionen Fahrgästen, sagte BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Trotzdem wird aber, wie berichtet, das Sicherheitskonzept geändert. In Zukunft gibt es wieder Doppelstreifen, bei denen ein Polizist einen Mitarbeiter des BVG-Sicherheitsdienstes begleitet. Vorgesehen ist der Einsatz an Brennpunkten. Steigern will die BVG das subjektive Sicherheitsgefühl auch durch das deutliche Zeigen von Präsenz. Deshalb hat BVG-Chefin Sigrid Nikutta angeordnet, dass auch Fahrscheinkontrolleure an der Kleidung erkennbar sein sollen. Ursprünglich sollte die Kleiderordnung bereits zum 1. April eingeführt werden; ein Einspruch nach der Vergabe des Auftrags hat den Termin jedoch platzen lassen. Nun sollen die Kontrolleure vom 1. Juli an zu erkennen sein.

Auch die S-Bahn will das subjektive Sicherheitsgefühl verbessern. Die Ergebnisse eines Modellversuchs zusammen mit der Technischen Universität sollen Ende des Monats veröffentlicht werden, sagte ein Bahnsprecher. Unabhängig davon seien die Streifen in den Zügen abends und nachts verstärkt worden. Überlegungen, zusätzliches Sicherheitspersonal über höhere Fahrpreise zu finanzieren, würden nicht verfolgt, sagte Wazlak. Wichtig sei es aber, dass Videoaufnahmen länger gespeichert werden dürfen.

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