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Berlin: Sieht ja lecker aus

FEINKOST Fertig gekaufte Rote Grütze besticht meist nur optisch – außer unser Testsieger vom Discounter.

Es verblüfft ja immer wieder, dass manche Lebensmittel so viel besser riechen, als sie schmecken. Der Kaffee ist ein schönes Beispiel. Ebenso irritiert, wenn die Farbe einer Speise in keinem Verhältnis zu ihrem Geschmack steht. Das ist etwa bei der Banane der Fall, deren Look mehr Frische verspricht, als ihr müdes Fleisch hat. Gilt das auch für eine beliebte Süßspeise?

Marco Müller mochte Rote Grütze bislang nicht sonderlich. Abgesehen davon, dass ein Ausnahmekoch wie er weitaus raffiniertere Fruchtdesserts kennt, erinnerte sie ihn vor allem an bürgerliche Rituale von früher nach der ohnehin schon lästigen Gartenarbeit. Tatsächlich ist die Grütze mit der durchdringenden Farbe ein Potpourri aus Früchten: Rote und schwarze Johannisbeeren sowie Himbeeren sorgen fürs traditionelle Gepräge. Weniger erbaulich ist häufig genug eine Gallerte, zu der der Saft der verschiedenen Früchte mithilfe von Sago oder Kartoffelstärke geronnen ist. Trotzdem stellte sich die monatliche Testrunde der Frage, ob es im Handel Rote Grützen gibt, die zu den einheimischen Delikatessen gerechnet werden können. Als Gastgeber im Weinrestaurant „Rutz“ und Jurypräsident war Marco Müller besonders gespannt, ob seine kulinarische Reservation Bestand haben würde.

So schwer es ist, das Wort Kaltschale bei seinem Weg in die Vergessenheit aufzuhalten, so schwierig dürfte es sein, das Aroma der Grütze von Manufactum vor dem Verschwinden zu bewahren. Dafür besitzt das Produkt des Babenhausener Ranis Hof, das in der Filiale an der Hardenbergstraße zu bekommen ist, zu wenig Nachdruck. Der schwarz-rote Mischmasch, in dem die Heidelbeere dominiert, wirkt auch deshalb so lasch, weil einer sehr entwickelten Säure nicht das richtige Maß Süße gegenübersteht. Im Grunde handele es sich, so Müller, um eine gebundene Blaubeersuppe mit vielen Kernchen. Ähnlich wässrig bot sich „Eden Bio Rote Grütze Fruchtdessert“ dar. Das Erzeugnis aus dem Reformhaus erinnerte den Meisterkoch an Brotaufstrich – auch, weil der zum Süßen verwendete Agavendicksaft eine honigartige Note mitbringt. Auf Buttertoast ja, mit Vanillesauce nein.

Eine derartige Alternative bietet sich nach der näheren Betrachtung von „Butter Lindner Rote Grütze“ eigentlich nicht an. Obwohl ihre fast schon psychedelische Farbe über drei Tische hinweg Glanz verbreitet, kam sie Juror Holger Schwarz von „Viniculture“ vor wie ein Rumtopf, bei dessen Zubereitung Alkohol vergessen wurde. Verhältnismäßig dünn und auch etwas verkocht wirkte auch „Dana Original Dänische Grütze“. Die bei Aldi im Literpack erhältliche Version „Gartenfrüchte“ weist keinen allzu hohen Fruchtanteil auf und tendiert am ehesten in Richtung Kirsche. Juror und Grütze-Experte Julius Grützke sprach von „Schulspeisung“ und wies auf die wenig ausgeprägte Fruchtsäure hin. Bei Dana bleibt der bonbonhafte Ton im Abgang deutlich im Gedächtnis haften.

Einen Anflug des Artifiziellen trifft man auch an, wo man ihn nicht erwartet: bei einem Bio-Produzenten mit gutem Leumund. Aber „Söbbeke Bio Rote Grütze“ vereint den oxidativen Duft, der von angeschlagenen Früchten her hinlänglich bekannt sein dürfte, mit Kleister. Auf zerschlagene Kerne deutet der Marzipangeschmack in „Pfennigs Feinkost Möhring Rote Grütze“. Die Konsistenz der Früchte ist allerdings tadellos – ein Befund, der auch auf die offenbar sehr vorsichtig gerührte Grütze aus dem „Frischeparadies“ zutrifft. Mit einem Fruchtanteil von 62 Prozent erfüllt sich hier ein optischer Traum, dem das Aroma trotz kräftiger Säure deutlich hinterherhinkt. Wer nur ein Foto machen möchte, um auf Facebook Neid zu provozieren, könnte ebenso gut zur Eigenmarke des KaDeWe greifen. Geschmacklich dominiere der Gelierzucker, meinte Marco Müller und reihte den knalligen Wackelpudding bei den Toppings ein. Die preiselbeerartige, bitter-arme „Alpenstück Waldbeerengrütze mit Rotwein und Rum“ eines Ladens in der Gartenstraße in Mitte taugt womöglich zu Wildschweinbraten oder Topfenknödeln, unterstreicht aber vor allem, dass die industrielle Fertigung von Grütze einen über Generationen herausgekochten Vorsprung besitzt. Keiner unterstreicht das mehr als Dr. Oetker. Trotz starker Süße entfalten sich die sozusagen eng zusammenliegenden, von verhaltener Säure akzentuierten Früchte prächtig und ergeben einen Mix, der im besten Sinn nichts Besonderes ist.

Aufregender ist da schon „Leysieffer Sylter Rote Grütze“. Dieses ein bisschen griesige Fruchtgulasch weist in Müllers Worten eine „tolle Textur“ auf, wird jedoch geschmacklich durch Weizenstärke quasi gefiltert. „Womit ich binde, entscheidet, wie viel Aroma am Ende durchkommt“, sagt der Koch und verweist auf die noch facettenreichere „Maribel Rote Grütze 57% Frucht“ von Lidl. Durch einen seidigen Schimmer lugen Himbeeren und Kirschen hervor, die ein wenig an Schattenmorellen aus dem Glas denken lassen. Am Gaumen schließt eine prägnante Säure die Früchte auf und wischt das anfangs auf der Zunge spürbare Verdickungsmittel nahezu vollständig beiseite. Vor Leysieffer und Maribel schob sich lediglich „Beste Ernte Rote Grütze“ vom Discounter Netto. Klare Farbe, stückige Früchte, glattes Gelee, Frucht und Süße in harmonischem Verhältnis sowie mit Säure gut austariert das ergibt ein wunderbares Kompott, dem nur eins fehlt: die Vanillesoße.

Söbbekes Vanillesoße kam Rutz-Serviceleiter Falco Mühlichen muffig, sogar ein wenig käsig vor, Aldis „Ursi Dessert Sauce Vanillegeschmack“ stellte sich als Karamellpudding von hoher Künstlichkeitsstufe vor und die wie geschmolzenes Vanilleeis wirkende „Matilde Dänische Dessertsoße“ sei in Wahrheit, sagt Müller, eine Trinksauce, die „komischerweise suchterregend“ sei. Auf der Suche nach der einzig wahren Sauce wurde er dann doch fündig. Die dichte, mit Markpünktchen strukturierte „Leysieffer Vanillesoße“ nähert sich dem Pudding an, dessen Exzellenz man durch den Genuss beweist.

Gastgeber: „Weinbar Rutz“, Chausseestraße 8, Mitte, Tel. 24 62 87 60

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