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Berlin: So gut wie nichts zu sehen

Ob am Zoo, am Messedamm, in Alex-Nähe oder auch am Ostbahnhof: An prominenten Ecken bestimmen freie Flächen das Stadtbild

Wie reizvoll Zahnlücken sein können. Sie geben dem Gesicht oft das gewisse Etwas, das Unverwechselbare. So ist es auch mit Baulücken im Antlitz einer Stadt. Berlin, scheint es, ist im Lückenfieber. Wer als Reisender am Bahnhof Zoo ankommt, wird gleich gegenüber von einer großen, freien, weiten und abgezäunten Fläche empfangen. Der Fremde weiß sofort: Das ist unverwechselbar Berlin; eine selbstbewusste Stadt offenbar, die sich Brachen an prominenter Stelle nicht schämt.

Immerhin ragt das leere Land mitten in die City, was andere Städte, die nur auf äußere Wirkung bedacht sind, vielleicht schon zu Verzweiflungstaten wie ausgelegten Rollrasen gereizt hätte. Selbst Einheimische glauben bereits, dass die Lücke zwischen Hardenberg-, Kant- und Joachimstaler Straße eigentlich gewollt ist, vielleicht bald zu einer pflegeleichten Grünfläche umgestaltet wird, auf der mal der West-City-Weihnachtsmarkt aufgebaut wird. Hier aber soll noch immer ein sehr hohes Hochhaus namens „Zoofenster“ hin, das kündigen in regelmäßigem Abstand Investoren an, deren Namen sich schon häufig geändert haben. Doch das weite Feld gehört inzwischen zum gewohnten Stadtbild.

Lücken locken auch in nächster Nachbarschaft, etwa dort, wo das „Lighthouse“ auf dem Gelände des einstigen Sporthauses Skihütte erwartet wird. Beide Baulücken zusammen machen schätzungsweise fast ein Zehntel der näheren Nachbarschaft zur Gedächtniskirche aus. Kein Wunder, dass sie so oft fotografiert werden. Sollte noch das Schimmelpfeng-Haus über der Kantstraße abgerissen werden, dürfte sich irgendwann zwischen Bahnhof Zoo und Kirche eine geradezu lückenlose Lücke bilden. Hinzu kommt jene Leere, die vorübergehend der Abriss des C&A-Kaufhauses an der Ecke Augsburger Straße geschlagen hat. An der kaum weniger prominenten Ecke Kaiser- zum Messedamm, blickt die Lücke auf ein halbes Jahrzehnt zurück. Hier stand mal das als marode gescholtene Bürohaus der Landesversicherungsanstalt, die umzog, weil die Volksbank hoch hinaus wollte und dann doch aus finanziellen Gründen ein Haus am Potsdamer Platz kaufte, aus dem sie wieder Richtung Grundkreditbank an der Budapester Straße ausgezogen ist.Während Firmengeschichten neu geschrieben wurden, harrt die Lücke am Busbahnhof aus. Mit den Parkplätzen nebenan ist auch er eigentlich auch eine einzige große Baulücke geblieben. Denn hier sollte – wer erinnert sich noch – zur Wendezeit das Milliardenprojekt eines Bürostadtviertels namens „Teleport“ entstehen.

Die Lücke hat gesiegt. Im Ostteil der Stadt war sie geradezu in die Stadtplanung einbezogen, wie anders waren die breiten Schneisen um den Alex zu verstehen? Die Mollstraße scheint inzwischen noch breiter geworden zu sein, seit endlich das lange leerstehende Wohnhochhaus abgerissen ist, dem die nistenden Mehlschwalben einst den Namen gaben. Die Bagger machten der langen Leidensgeschichte des schäbig hochgezogenen Hauses ein Ende. Wie erlösend doch Lücken sein können. Das Gelände am Ostbahnhof war lange eine einzige große Lücke, die aber in den nächsten Jahren durch Bauprojekte wie das Quartier Media-Spree und die Zentrale der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vermutlich restlos gefüllt wird. Aber das Bahngelände bietet dort ein schier unerschöpfliches Reservoir an Ersatzlücken.

Ist erst der Palast der Republik abgerissen, das Schloss aber noch nicht da, zieht sich ein riesiges freies Feld vom Alten Museum bis zum einstigen Staatsratsgebäude: Für Lückenfans ein fast unendlicher Lustgarten.

Christian van Lessen

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