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Berlin: Soll die Mauer am Nordbahnhof einem Sportplatz weichen?

Der ehemalige Todesstreifen ist heute eine Heidelandschaft. Zwischen Garten- und Chausseestraße, über dem Tunnel des Nordbahnhofs, wachsen Gräser, Kiefern und Birken, und mittendrin stehen besprayte, löchrige Mauerreste.

Der ehemalige Todesstreifen ist heute eine Heidelandschaft. Zwischen Garten- und Chausseestraße, über dem Tunnel des Nordbahnhofs, wachsen Gräser, Kiefern und Birken, und mittendrin stehen besprayte, löchrige Mauerreste. Hier, zwischen den Stadtteilen Wedding und Mitte, ist Berlin nicht zusammengewachsen, ebenso wenig zum Beispiel an den Bezirksgrenzen von Treptow und Neukölln, hier hat es nur aufgehört, geteilt zu sein.

Statt die Leere zu füllen mit Leben, wozu auch ein Sportplatz zählt, will der Senat die Trennung nun konservieren. Das ist falsch. Wenn die paar letzten – und nur deshalb sehr wertvoll scheinenden – Meter der Hinterlandmauerreste im menschenleeren Irgendwo dem Bemühen um eine funktionierende Stadt im Weg stehen, müssen sie weg. An die Mauer muss man mit Markierungen und Infotafeln erinnern und mit einem zentralen Gedenkort in der Mitte der Stadt oder an einem anderen historisch bedeutsamen Ort. Und da, wo sie einst stand und heute die Leere ist, müssen Straßen, Häuser, öffentlich zugängliche Parks (das wilde Gelände am Nordbahnhof ist von einem Zaun umgeben) gebaut werden.

Damit die Menschen anfangen, den Raum zu nutzen, damit sie sich überhaupt erst einmal dort einfinden, wo heute das Nichts ist, sich begegnen und an die Zeit erinnern, als der Boden unter ihren Füßen eine menschenfeindliche Staatsgrenze war.

CONTRA: Die Mauer, so schrecklich sie noch immer ist, muss bleiben! Es darf keinen Abriss von Resten der DDR-Mauerbefestigung mehr geben. Wir haben kaum noch Zeugen des Scheusals, und die letzten Reste dürfen nicht noch kleiner werden. Von einst mehr als 155 Kilometern Mauer in und um Berlin sind nicht einmal 1,9 Kilometer geblieben. Wir haben gerade den höchst umstrittenen Abriss der Mauerkreuze an der Friedrichstraße hinter uns. Wir haben am Checkpoint Charlie gemerkt, wie Aufsehen erregend, wie aufrührend auf Menschen, woher sie auch kommen, selbst eine nachgebaute Mauer wirkt. Uns ist klar geworden, wie sehr die Abriss-Euphorie der frischen Einheit den Blick auf die Zukunft versperrt hat.

Auf das Bedürfnis, bei aller Freude über den Fall der Mauer den Schrecken ergründen, spüren, der Nachwelt als Mahnung hinterlassen zu wollen. Nun kommt vom Bezirksamt Mitte der unfassbare Beschluss, einen großen Teil der minimal gewordenen, aber immerhin denkmalgeschützten Mauer am Nordbahnhof abzureißen. Gerade der Bereich Bernauer Straße ist historisch hochsensibel und für ein wirkliches Mahnmal prädestiniert. Daran sollte der Bezirk mitwirken. Aber er will hier einen Sportplatz, darüber auch nicht mehr verhandeln, basta! Ein unsensibler Fußtritt für die Erinnerung. Ein Sportplatz lässt sich verlagern, ein letztes Original nicht. Ein Glück, dass dieses Stück in aller Abrisswut vergessen wurde. Christian van Lessen

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