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Alkoholfrei. Nach der Alkoholfahrt des danach geschassten grünen Wahlkampfmanagers André Stephan ist wieder einmal die Diskussion um ein absolutes Alkoholverbot am Steuer aufgelebt. In anderen Staaten wie Tschechien oder früher in der DDR ist 0 Promille jetzt schon Gesetz.

©  dapd

Die Nullkommanull-Lösung: Soll die Promillegrenze im Straßenverkehr auf 0,0 gesenkt werden?

Der Fall André Stephan belebt die Debatte um eine weitere Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr aufs Neue. Ein Pro und Contra.

Berlin - Seine Partei wirbt für eine „Nullpromillepolitik“, so die grüne Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast, doch er selbst schlief im Rausch vor einer Ampel ein: Der Fall des betrunkenen Wahlkampfmanagers der Grünen, André Stephan, hat den Streit um die totale Abstinenz am Steuer wieder neu entfacht. Wie berichtet, war er in der vergangenen Woche nach dem Hoffest im Roten Rathaus offenbar stark alkoholisiert mit einer Polizeistreife aneinandergeraten. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Landesverkehrswacht Berlin-Brandenburg fordern schon seit längerem vehement die 0,0-Promille- Grenze. Auch das EU-Parlament strebt eine europaweite Nulllösung an, doch von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bis zum Geschäftsführer der Berliner SPD-Fraktion Christian Gaebler gibt es quer durch die Parteien auch engagierte Befürworter der jetzigen 0,5-Promille-Grenze. Gaebler. „Wir fahren doch mit der jetzigen Regelung recht gut.“

Seit vor zehn Jahren die Grenze des Alkoholgehalts im Blut von 0,8 auf 0,5 Promille bundesweit gesenkt wurde, ging die Zahl der Alkoholunfälle mit Toten und Verletzten nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums um 40 Prozent zurück. Eine weitere „Gängelung“ ist aus Sicht des Ministers unnötig. Auch in Berlin sind die alkoholbedingten Unfälle rückläufig. Im Jahr 2008 registrierte die Polizei 1957 Fälle, 2010 waren es noch 1543.

Gleichwohl kommt in Berlin nach Polizeiangaben noch immer durchschnittlich alle 15 Stunden ein Mensch durch Trunkenheit am Steuer zu Schaden. Für den ordnungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Thomas Kleineidam, zeigt dies „ganz klar, dass viele Fahrer nicht einschätzen können, wie viel Alkohol sie vertragen.“ Ob man schon nach einem oder drei Bieren über der Promillegrenze liegt und nicht mehr fahrtüchtig ist, sei individuell sehr unterschiedlich. Die Grenze suggeriere, „da ist vielleicht noch ein Gläschen drin.“ Bei der Nulllösung wisse „jeder eindeutig, woran er ist“, widerspricht Kleineidamm seinem Parteifreund Christian Gaebler. Das sei aber seine persönliche Meinung, betont er. „Innerhalb der Berliner SPD gibt es noch keine klare Linie.“

Wer für die totale Abstinenz eintritt, verweist auch gerne auf Paragraf 24c im Straßenverkehrsgesetz. Der verhängt seit 2007 die 0,0-Promille-Grenze bereits für junge Fahrer: So dürfen Anfänger während einer zweijährigen Probezeit sowie generell Fahrer unter 21 nichts getrunken haben, bevor sie ins Auto steigen. Schon ein Jahr nach der Gesetzesnovelle verunglückten in Brandenburg 12 Prozent weniger junge Leute wegen Trunkenheit. „Warum soll die Gefahr des Herantrinkens an eine höhere Promillegrenze und des damit verbunden Verlustes der Selbstkontrolle bei älteren Fahrern nicht mehr gegeben sein“, fragt die Verkehrswacht. Und warnt vor der „trügerischen Sicherheit, der selbst erfahrene Wagenlenker zum Opfer fallen“.

Die 0,0-Promille-Grenze gilt bislang nur in osteuropäischen Ländern wie Ungarn oder der Slowakei. Mit 0,5-Promille befindet sich Deutschland im großen Mittelfeld. In Norwegen und Schweden gelten 0,2 Promille, in Großbritannien und Irland darf man dagegen mit 0,8 Promille vor einer Autofahrt am tiefsten ins Glas gucken. Höchst unterschiedlich sind auch die drohenden Strafen. Wer betrunken erwischt wird, muss in Tschechien und Estland mindestens mit rund 1000 Euro Bußgeld rechnen, in Norwegen sind es 750 Euro, in Griechenland dagegen nur 100 Euro. In Deutschland werden in der Regel Ordnungsstrafen zwischen 500 und 750 Euro verhängt. Hinzu kommen vier Punkte in Flensburg sowie ein Führerscheinentzug für drei Monate. Was viele zudem nicht wissen: Misst die Polizei nur 0,3 Promille, stellt aber zugleich Anzeichen von Fahrunsicherheit fest, so kann auch dies bereits ein Grund für entsprechende Strafen sein.

Der Polizeigewerkschaft geht das alles nicht weit genug. Sie nimmt neuerdings auch Radler in den Fokus. 2009 seien Radfahrer an 25 Prozent aller alkoholbedingten Unfälle beteiligt gewesen, argumentiert sie. Bislang gilt man auf dem Velo erst ab 1,6 Promille als fahruntüchtig.

PRO

Ausgerechnet der CDU-Generalsekretär hat eine entlarvende Wortmeldung zu der Alkoholtour von Renate Künasts schlaftrunkenem Wahlkampfchef abgeliefert: Es könne jedem mal passieren, dass er ein Glas zu viel trinke und dann Auto fahre, sagte Bernd Krömer. Aber bei einer Kontrolle auf Polizisten loszugehen, das gehe nicht. An dieser Stelle also herzlichen Dank an Herrn Krömer für die Bestätigung, dass wir hier ein Problem haben. Vielleicht ist der Grüne ja auf die Polizisten losgegangen, weil und nicht obwohl er besoffen war? Wäre es sogar denkbar, dass er sich nüchtern unter Kontrolle gehabt hätte? Könnte sein? Und lernen wir daraus vielleicht, dass es einem wegen des Kontrollverlustes eben nicht passieren sollte, sich nach einem Glas zu viel ans Steuer zu setzen? Diese „Kann-doch-jedem-mal-passieren“-Attitüde kostet jedes Jahr viele Unschuldige das Leben. Ihre Selbstverständlichkeit steht in bizarrem Gegensatz zur verbreiteten Angst vor Gefahren wie BSE-Fleisch und märkischen Wolfsrudeln. Null Toleranz gegenüber Alkohol am Steuer wäre also angebracht, um diese Schieflage zu beseitigen. Statt der wahnwitzigen Rechnerei, welche Getränke wie viel Promille ergeben, muss jeder begreifen: Wer Alkohol getrunken hat, fährt nicht mehr Auto. Punkt. In der DDR war dieses Gesetz übrigens akzeptiert. Null Komma null versteht jeder. Jede andere Regelung verführt zu Selbstbetrug. Der ist lebensgefährlich – nicht nur für den Betrüger. Stefan Jacobs

CONTRA

Alkohol und Autofahren passen nicht gut zusammen: Das ist unbestritten und gilt auch für das Fahren im Zusammenhang mit Cannabis, Marihuana, Medikamenten, Müdigkeit, Depressionen oder Stress, um ein paar Faktoren zu nennen, die Menschen zu unaufmerksamen Autofahrern machen können. Besonders gefährlich ist der Stress, unter dem grüne Wahlkampfmanager stehen, der ist offenbar nur mit Exzesstrinken auszuhalten, wie sich dieser Tage gezeigt hat. Und selbstverständlich wäre das Leben weniger gefährlich, wenn die Menschen alles vermeiden würden, was sie nicht guten Gewissens verantworten können. Diesen Zustand wollen die Grünen herbeiführen, indem sie sich für null Promille im Straßenverkehr einsetzen. So kennt man das von den Vorkämpfern der guten Welt: Sie werben für ihre Vorstellungen – und sie drohen mit Verboten für den Fall, dass man ihren Argumenten nicht folgt. Hinter der scheinbar liberalen Art der Grünen steckt jede Menge Regulierungswut. Wer 0,0 Promille fordert, sollte sagen, mit wie vielen Polizisten er die Regelung durchsetzen will. Er sollte ergänzen, ob er oder sie – jüngst hat Renate Künast die Null-Promille-Grenze wieder ins Gespräch gebracht – das Limit für Radfahrer verbindlich machen will – und warum nicht auch für Fußgänger? Jeder stolpernde Trunkenbold kann zum Auslöser eines Unfalls mit einem Tanklastzug werden. Es ist wie immer mit politischer Zwangsbeglückung: Erst kommt der Zwang. Werner van Bebber

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