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Hannelore Schmidt (l.) und Annegret Falter mussten ihren Kleingarten aufgeben.

© Rückeis

Pro und Contra: Sollen Laubenpieper auf den Flughafen Tempelhof ziehen?

Die Kolonie Württemberg ist dicht, Ersatz begehrt: Berlins Laubenpieper streiten um ihre Gärten. Sollen sie ein Stück von Tempelhofer Flugfeld bekommen? Ein Pro und Contra.

Wenn Hannelore Schmidt, 83, heute die Württembergische Straße entlanggeht, wo die Gartenkolonie Württemberg mit ihren 48 Parzellen lag, bis Anfang März die Bagger kamen, wird ihr schwer ums Herz. 55 Jahre hat sie in ihrer Laube fast jeden Tag verbracht, alle fünf Kinder sind hier aufgewachsen. Später haben die Enkel ihr beim Ernten geholfen. Vorbei. Die 1,4 Hektar große Brache hinterm Zaun ist komplett zugewuchert.

Einige Bäume stehen noch, darunter eine hohe Birke und ein alter Walnussbaum, beide fallen unter den Baumschutz. „Aber wenn es hier losgeht mit der Bebauung, wird man bestimmt einen Weg finden, sie zu fällen“, sagt Annegret Falter. Die Politikwissenschaftlerin war, wie Hannelore Schmidt, im November 2009 eine der Letzten, die das Gelände widerstrebend verlassen hat. Es drohten Schadensersatzklagen durch den mit dem Verkauf beauftragten Liegenschaftsfonds. Nur einer ist länger geblieben: Josef Moritz. Und der Rechtsanwalt, der in der Kolonie seit 1994 eine Parzelle gepachtet hatte, kämpft weiter. Im nächsten April entscheidet das Kammergericht über seine Berufung gegen die Räumung. „Sie wurde zu Unrecht ausgesprochen, denn es konnte damals weder sichergestellt werden, dass der Käufer alsbald bauen wird noch, dass er über genug Eigenkapital verfügt“, sagt der 75-Jährige.

Im Frühjahr 2011 werden auf dem Gelände vielleicht schon Baugruben ausgehoben. Der neue Eigentümer, die Bauwert Investment Group, plant, 13 Häuser mit 210 Wohnungen bis zum Spätsommer 2012 zu bauen. „Wir haben schon eine lange Interessentenliste“, sagt Bauwert-Sprecher Henning Hausmann. Die Bauwert konnte das begehrte Areal in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamms erwerben, da sie seit März 2010 die Mehrheit an dem ersten Investor, der „Capricornus Residence GmbH & Co KG“, hält. Der Capricornus fehlten nach dem Kauf des Grundstücks die Mittel, da die US-Bank Morgan Stanley als Mehrheitsgesellschafter ausgestiegen war.

„Wir wollten immer verhindern, dass diese innerstädtische Oase zur Brache und zum Spekulationsobjekt wird“, sagt Falter. Genau das sei nun geschehen. Falter bezweifelt, dass die Bauwert auf dem Gelände tatsächlich einen Grünflächenanteil von 60 Prozent, wie im Bebauungsplan vorgegeben, schaffen kann. Doch Hausmann bestätigt die Pläne. „Auch nach der Fertigstellung wird dies immer noch eines der großzügigsten grünen Grundstücke der westlichen City sein.“ In Planung sei neben einem für die Bevölkerung zugänglichen Grünbereich auch ein öffentlicher Kinderspielplatz.

Peter Ehrenberg, Vorsitzender des „Landesverbands der Gartenfreunde“ ist, wie die früheren Pächter der Kolonie, enttäuscht über die frühzeitige Räumung. „Das sollte Senat und Wirtschaft endlich mal eine Lehre sein, mit dem kurzsichtigen Investitionsgezocke aufzuhören“, sagt Ehrenberg. Dabei bräuchten die Bürger Kleingärten in der Stadt dringend, das zeigten die langen Wartelisten: Auf die noch 1600 existierenden Parzellen im Stadtteil Wilmersdorf kämen über 600 Bewerbungen, sagt Ehrenberg. Das bedeutet bis zu fünf Jahre Wartezeit pro Parzelle.

Ehrenberg ist optimistisch, dass die Politik der Forderung, zur Internationalen Gartenausstellung 2017 auf dem Tempelhofer Feld eine neue Gartenkolonie zu errichten, nachkommen wird. „Das heißt aber nicht, dass wir weitere Verkäufe und Räumungen bestehender Anlagen hinnehmen“, so Ehrenberg. In den letzten 12 Jahren mussten 5000 Kleingärten und etwa 15 Kolonien Wohn- und Gewerbeprojekten weichen, vor allem in den begehrten Innenstadtbereichen. Damit existieren heute noch rund 75 000 Parzellen in Berlin, nach 1945 waren es mehr als doppelt so viel.

Einige Ex-Württemberger, darunter auch Hannelore Schmidt, sind aufgrund einer Härtefallregelung in der Kolonie Hohenzollerndamm untergekommen. Die alte Dame pflanzt dort längst wieder Gemüse und ist jeden Tag dort, obwohl sie der Verkehrslärm etwas stört. „Am wichtigsten ist es, überhaupt wieder einen Garten zu haben“, sagt sie. Auch wenn es natürlich nicht das Gleiche sei – nach 55 Jahren in der alten Kolonie.

Pro

Das mit dem Tempelhofer Flugfeld war keine Liebe auf den ersten Blick. Bei den ersten Begehungen der Hallen und der Rollbahn hatten selbst Freizeitaktivisten das Gefühl, das geschichtsträchtige Gebiet werde durch die profane Nutzung abgewertet. Mittlerweile wissen aber auch anfängliche Zweifler das Gelände zu schätzen. Gerade weil es so rau und wild und ursprünglich ist mit seinen großflächigen, geschützten Brutwiesen. Auf dem Flugfeld mit den vereinzelten Baumgruppen fühlten sich einige im Hitzesommer 2010 gar an die afrikanische Steppe erinnert. So ist bei vielen Besuchern jetzt der Wunsch entstanden, das weite, meist windumtoste Gelände solle sozusagen als Frischluftventilator für die Metropole genauso erhalten bleiben wie es gerade ist. Macht den Tempelhofer Park zu Berlins Hyde Park! Das wird wohl nichts als eine Illusion bleiben, deshalb müssen Nutzungen her, die den Charakter des Areals zumindest bewahren. Die Vorstellung von standardisierten Wohn-Gewerbe-Bauplänen ist ja nur noch schwer zu ertragen. Kleingärten passen viel besser aufs weite Grün. Schon jetzt ziehen sich entlang dem Tempelhofer Park Parzellen. Weil Laubenpieper überall in der Stadt weichen müssen, sollte der Senat ihnen jetzt auf dem Flugfeld Asyl gewähren. Allerdings nur, wenn sie ihre Wege für alle öffnen und man dann in Zukunft durchs Parzellengrün schlendern und skaten kann. Annette Kögel

Contra

Der deutsche Kleingarten ist zweifellos eine segensreiche Einrichtung, deren Wurzeln weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Eine Traditionsveranstaltung, die bis heute vielen Zwecken dient: der Selbstversorgung mit Obst und Gemüse, der Bekämpfung von Wohnungsmangel, der sozialen Verständigung, aber vor allem der Naherholung für jene Großstädter und deren Familien, die nicht in Reihenhaussiedlungen mit eigenem Gärtchen leben. So weit, so gut.

In West-Berliner Zeiten ging es auch gar nicht anders, als dass die Laubenkolonien innerhalb der ummauerten Stadt gediehen, also zum innerstädtischen Ensemble wurden. Doch das ist vorbei, und Berlin ist heute eine überaus grüne Stadt mit noch grünerem Umland, wo jeder sein Plätzchen finden kann. Die City taugt auf Dauer nicht als kleinteilig umzäunte und mit putzigen Zwergen besetzte Gartenfläche. Und es ist auf keinen Fall einzusehen, dass die von den Berlinern neu eroberte Klima-Oase, das Tempelhofer Feld, zugunsten weniger hundert Laubenpieper, die besonders preiswert und in bester Lage die Wochenenden hinter schützender Hecke genießen wollen, parzelliert wird. Das gilt ab 2012 auch für den Flughafen Tegel.

Nichts gegen Lauben am Stadtrand oder, soweit möglich, entlang von Uferrändern. Aber sie gehören nicht in große innerstädtische Park- und Erholungsgebiete. Ulrich Zawatka-Gerlach

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