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Berlin: Sommerparty ohne Kater

Sie waren in den Ferien? Kein Problem! Hier können Sie erfahren, was Sie in den vergangenen Wochen in Berlin versäumt haben

So schnell war der Herbst noch nie: Zu Ferienbeginn stand die Stadt in saftigem Grün, sechs Wochen später ist ihre Farbe ein sattes Orange. Nicht allein der Kastanien mordenden Miniermotte wegen, deren Treiben sind wir gewohnt, aber diesmal kommen die Plakate gleich zweier Parteien dazu, die sich von der Farbe des sterbenden Sommers besonders hohe Aufmerksamkeit versprechen: CDU und WASG, im Programm diametral entgegengesetzt, im Farbton vereint.

Niemand, der erst mit Ferienende wieder in die Stadt kam, muss sich grämen, er habe in der Politik Entscheidendes verpasst: Der heiße Wahlkampf hat gerade erst begonnen, bis zum 17. September wird noch manche Materialschlacht, manches Wortgefecht toben, obwohl es schon recht unterhaltsames Fingerhakeln gab – und ein Wahlversprechen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), der sich des Sieges sicher glaubt: Kita-Besuch soll bald gratis sein.

So monochrom der Sommer zu Ende geht, so schwarzrotgold hatte er begonnen. Mancher Frankreich-Reisende, der noch das zuletzt rasch ersterbende „Allez les Bleus!“ im Ohr hat, kann sich die Begeisterung kaum vorstellen, die am Tag des Endspiels im Berliner Olympiastadion kurz zuvor auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor der mit ihrem dritten Platz hochzufriedenen deutschen Mannschaft entgegengeschlagen war. Eine Euphorie, die den Regierenden zu dem Vorschlag hinriss, Berlin möge sich für die Olympischen Spiele 2016 bewerben. Doch keine Freude ohne Trauer: Wenig später nahm sich der WM-Koordinator des Senats, Jürgen Kießling, das Leben.

Gleichwohl, so nachhaltig war die Fußballbegeisterung, dass nach dem letzten Tor jeglicher Kater ausblieb, die Stadt vielmehr weiterfeierte, als sollte der Sommer nie vergehen. Nach zwei Jahren Pause zog nun doch wieder eine Loveparade durch den Tiergarten, gefolgt von der Parade zum Christopher Street Day und einer lautstarken Konzertreihe im Olympiastadion, eröffnet von den Rolling Stones und gekrönt durch den Doppelauftritt von Robbie Williams , das alles abgerundet durch Kurzbesuche von Colin Farrell, Jamie Foxx, Janet Jackson und Penelope Cruz.

Wer übrigens eben erst von seiner Sonneninsel ins verregnete Berlin zurückkam, sollte sich eine schadenfrohe Miene verkneifen. Das Wetter hier war phänomenal und partytauglich, nur ganz zuletzt wurde es feucht, doch blieb es Gepiesel, verglichen mit der Keller und U-Bahnhöfe füllenden Sintflut, die kurz nach Ferienbeginn über die Stadt hereinbrach.

Ohnehin war nicht alles eitel Sonnenschein in den Ferienwochen. Aber Berlin wäre nicht Berlin, gäbe es nicht hin und wieder eine Aufregung, einen Riesenstreit, einen Skandal. Noch eiernd rollten die beiden konkurrierend projektierten Riesenräder durch die Stadt, das eine am Zoo, das andere am Ostbahnhof. Noch ist der Senat unentschieden. Offen ist auch die Zukunft der hochfliegenden Pläne für die Museumsinsel . Erst forderte der Bundesrechnungshof den Verzicht auf das neue Empfangsgebäude wie auch das unterirdische Wegenetz, dann runzelte man in der Unesco-Gutachterorganisation Icomos über das umstrittene Gebäude des Architekten David Chipperfield die Augenbrauen, weil es mit der als Weltkulturerbe deklarierten Insel unverträglich sei.

Viel Wirbel gab es um die Premiere der „Dreigroschenoper“ im umgebauten Admiralspalast an der Friedrichstraße: Fast in letzter Minute wurde das Gebäude für bespielbar erklärt, die Inszenierung von Klaus Maria Brandauer, mit „Tote Hosen“-Sänger Campino als Mackie Messer, fiel aber durch. Und als skandalös wurde von vielen in der Stadt die Vermarktung des Geländes des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Köpenicker Nalepastraße angesehen: Es wurde für einen Spottpreis verkauft und vom Erwerber mit Millionengewinn teilweise wieder abgestoßen.

Weiter sind zu bilanzieren: ein erschossener Geldbote, eine Flucht aus dem Kriminalgericht durchs Klofenster, eine offenbar von ihrem Ex-Mann in den Tod gestürzte Tänzerin von André Hellers „Afrika! Afrika!“-Show, ein Brandanschlag auf das Haus des CDU-Abgeordneten René Stadtkewitz, sechs Tote, als ein vor der Polizei fliehender Menschenhändler mit seiner Fracht gegen einen Baum raste, und schließlich verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und Diskussionen über weiteren Schutz nach den gescheiterten Anschlägen von London und auf die deutsche Bahn. Aber solchen Folgen des Terrors entkommt man heute nicht mal auf der entlegensten Insel.

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