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Berlin: Sonnengelb und Höllenrot

In die leuchtenden Farben des Kirchentags mischt sich am Wochenende ein neuer Ton: Die Fußballfans und die Genossen kommen

Zwei Tage dominierte das Gelb der Christen die Stadt, nun bekommt es Konkurrenz: Die Roten kommen. Erst feiern am heutigen Sonnabend die Anhänger der Fußballvereine FC Bayern München und 1. FC Kaiserslautern das Pokalfinale – dann versammeln sich am Sonntag die Sozialdemokraten zum Parteitag über das Reformprogramm „Agenda 2010“.

Rot – aus christlicher Sicht eine übrigens entschieden angemessene Farbe für das Gewand von Fußballfans. In der katholischen Liturgie symbolisiert sie unter anderem das Märtyrertum – und es sind ja wirklich sehr Leidensbereite, die sich zum Pokalfinale einfinden. Weniger, weil sie sich im Stadion in der Sonne rösten lassen; aber weil die Hälfte von ihnen der Niederlage gewiss ist. Und sie dennoch ihrem Bekenntnis nie abschwören werden. Dass sie für „die Roten“ sind, die Bayern aus München, bzw. für „die Roten Teufel“, die Mannschaft aus Kaiserslautern.

Teufel…? Solche scheut der Christenmensch wie der Papst ein ökumenisches Abendmahl. Doch auch ohne Aberglauben können die Träger des sonnengelben Tuches gute Gründe anführen, sich heute von der westlichen Innenstadt fern zu halten: Pflegen Fußballfans gleich welcher Couleur ihre Hochämter doch weder in Einkehr und Besinnung zu feiern, noch dazu Wasser oder Wein zu trinken. Bierselige Schlachtgesänge wird man auf Ku’damm und Tauentzien hören, nicht fromme Choräle. Zugleich mögen die Fans und Vereine in bitterster Konkurrenz stehen – der Götze, dem sie dienen, ist doch derselbe: Fußball. Und das Pokalfinale daher ebenfalls eine Art ökumenisches Laienfest.

Wer heute von Mitte aus nach Westen reist, wird also eine hübsche Farbfolge erleben können: Erst die Christen mit den Tüchern in Gelb – 120 000 dieser Schals wurden verkauft, die Farbe wurde gewählt wegen ihrer Signalkraft und „Fröhlichkeit“ –, dazwischen das Schwarz der Pfarrer oder Nonnen, auch manch’ rotes Tuch der Kirchentagshelfer. Dann, am Potsdamer Platz, die Roten und die Anders-Roten: Im Sony-Center wird das Spiel auf Riesenleinwand gezeigt, und wie immer werden mehr Fans in der Stadt sein, als die je 17 500, die über ihren Verein Karten bekommen haben. Die City-West: überall Rot und die Zweitfarben weiß, blau, grau, je nach dem Jahrgang der Trikots. Bei den Messehallen dominiert wieder Gelb, im Olympiastadion wieder Rot.

Am Sonntag aber, wenn sich die SPD-Delegierten im „Estrel“ versammeln, ist auch ihre Farbe immer noch Rot: Dies war die Farbe des Volkes, der Freiheit schon in der Französischen Revolution. Wurde dann zu der des Proletariats. Um das ging es der SPD ja mal, lange vor der Agenda 2010.

Holger Wild

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