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Im Wartezimmer macht man sich so seine Gedanken.

© promo

Aus einem Berliner Wartezimmer: Sonnenschein für das Seelenheil

Im Wartezimmer sitzend, bemerkt unsere Kolumnistin eine Lücke im Bonusheft - und macht sich ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Glück und Zufriedenheit.

Es gibt sie noch, die Arztserien: „Familie Dr. Kleist“ zum Beispiel, außerdem läuft in Endlosschleife „In aller Freundschaft“ und das amerikanische Pendant „Grey’s Anatomy“. Einst praktizierten Dr. Brockmann in der „Praxis Bülowbogen“ und, klar, Prof. Brinkmann in der „Schwarzwaldklinik“. Sein Sohn Sascha Hehn musste immer in sein Cabrio springen, weil er das mit der Tür nicht kapiert hatte. Die Fönfrisur war von da an für mich ein deutliches Zeichen, welche Typen man besser nichts Kompliziertes fragt.

Heutzutage nicht zu vergessen ist „Dr. House“, der uns weismachen will, dass ein halbes Dutzend Mediziner Tag und Nacht forscht, um einen einzigen Patienten zu kurieren. So was geht einem durch den Kopf, wenn man selbst in einem Berliner Wartezimmer sitzt und seiner Vorsorgeuntersuchung entgegensieht.

Eigentlich läuft diese TV-Arztsimulation immer nach dem gleichen Muster: Seht her, auch unsere Doktoren haben alltägliche Probleme. Dennoch sind sie nebenher in der Lage, einen aussichtslosen Fall mir nichts, dir nichts in einer spektakulären, vorher noch nie gemachten Operation samt Anamnese, Diagnose und Nachsorge in weniger als 45 Minuten zu lösen.

Eigentlich ein dankbares Sujet. Muss doch jeder früher oder später zu den Halbgöttern in Weiß, um dann ganz später überhaupt nicht mehr von denen loszukommen. Irgendwie hatte ich in Berlin bisher immer Glück mit meinen Ärzten. Entweder hatte ich fast nichts, und man konnte mich mühelos wieder in Stand setzen. Oder, wenn mal was war, geriet ich immer an solche Ärzte, die sich Zeit nahmen, Alternativen prüften und mir nicht von der Seite wichen, bis alles ausgestanden war. Nein, ich bin nicht privat versichert.

Wenn Ökonomie die Humanität in den Schatten stellt

Nun ist es so, dass ich mich eigentlich topfit fühle. Diese Vorsorgedinger mache ich, um sicherzugehen, dass ich bis jetzt gesund bin, und um mein Serviceheft abstempeln zu lassen. So hätte man bessere Karten, wenn dann doch mal was wäre. Das Gute an Berlin ist, dass man jede Form von medizinischer Versorgung überall bekommt.

Und die Versicherungsleistung wird erbracht, auch bei den Fußsoldaten der gesetzlichen Krankenkasse. Aber ich frage mich langsam schon, wenn der Arzt in Punkten abrechnet, nach Leistung und Versicherung mit einem Faktor multipliziert und im Flur jeder Praxis kostenpflichtige „Igel“-Leistungen angeboten werden, ob nicht da schon ein Stück zu viel Ökonomie die Humanität in den Schatten stellt.

Ich habe leicht reden. Mir fehlt ja so gut wie nichts. Wie das aber aussieht bei einem chronisch Kranken, Kleinrentner, jemand, der auf ein Organ wartet, jemand, der um sein Leben kämpft? Der Entwicklungsstand einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit den Schwachen umgeht. Da sind wir vielen Ländern voraus. Aber sind wir wirklich da, wo wir sein müssten? Ist Gesundheit eine Aufgabe, die der Markt steuern sollte? Und macht es uns gesünder, wenn der Arzt kein Arzt mehr sein darf, sondern als Unternehmer behandelt?

Wenn die Sonne scheint, kommt kein Arzt

Anfang des Jahres saß ich mit einer fetten Grippe im Wartezimmer meines Hausarztes. Eine nette Runde zum fröhlichen Bakterientausch hatte sich da versammelt. Mir fiel auf, wie viele alte, einsame Frauen da waren. Es war nicht nur der Infekt, der sie da hintrieb. Einmal wieder angesprochen werden, einmal wieder jemanden haben, der sich um einen kümmert. Wir werden nicht nur krank am Körper, sondern auch krank an der Seele, wenn wir uns allein fühlen.

Eine Vorsorgeuntersuchung für eine intakte soziale Umwelt fehlt noch im Bonusheft. Oder wie mein Vater sagen würde: „Günes giren eve doktor girmez.“ In ein Haus, in das die Sonne scheint, kommt kein Arzt.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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