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Im Kellergeschoss. Prälat Tobias Przytarski bei der Messe in der Unterkirche von St. Hedwig, im Hintergrund die Treppe zur Kathedrale.

© Bodo Straub

Sonntags um acht in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin: Gottesdienst mit Treppe

Der Prälat in der Hedwigs-Kathedrale wirbt in seiner Predigt dafür, Religion nicht als Privatsache zu behandeln, sondern in die Öffentlichkeit zu tragen. Allerdings bewirkt die Architektur der Kirche das Gegenteil.

Treppe. Überall Treppe. Oder Treppengeländer. Dazwischen ein paar Säulen. Morgensonne durchflutet die mächtige Kuppel der St.-Hedwigs-Kathedrale, doch hier, 33 Meter tiefer, fällt Licht aus Glühbirnen auf eine Treppe. Egal wo man steht in der Unterkirche der Kathedrale, nirgends sieht man alle Menschen. Ob Pfarrer, Ministrant oder Gemeindemitglied: Immer ist der Blick auf die Treppe gerichtet.

Noch ist nicht klar, ob und wenn ja, wann St. Hedwig umgebaut wird. Entscheiden wird das der künftige Erzbischof, der allerdings noch gesucht wird. Einstweilen besteht die Kathedrale aus zwei Kirchen: Mitten in der runden Oberkirche, in der sich die Gemeindemitglieder gegenübersitzen, klafft ein mehrere Meter breites Loch im Boden, das in die Unterkirche führt – über die Treppe.

Durch diese architektonische Besonderheit sehen sich die Gemeindemitglieder bei Gottesdiensten in der Oberkirche gegenseitig an, aber sie hören einander kaum beim gemeinsamen Singen, die Musik verliert sich häufig in dem riesigen Saal. Unten ist es umgekehrt: Die niedrige Decke und die zahlreichen Seitenkapellen sorgen für eine hervorragende Akustik – aber wem die Stimmen gehören, ist kaum festzustellen.

Der Glaube ist persönlich, aber nicht privat, sagt der Prälat

Die Sonntagsgottesdienste in St. Hedwig um zehn, zwölf und 18 Uhr finden natürlich in der Oberkirche statt, mit dem vollen Programm, wie es sich für die Erzbischofskirche der Hauptstadt gehört: mehrere hundert Gläubige, verwundert hereinstolpernde Touristen, häufig wechselndes Publikum. Der weiträumige Saal sorgt zwar für eine erhabene, häufig aber auch unruhige Atmosphäre. Ganz anders ein Stock tiefer: Kaum jemals in Berlin ist der Kirchenbesuch so privat und anonym möglich wie sonntags um acht im Keller der prominentesten katholischen Kirche, inmitten von 50 Gottesdienstbesuchern, die man so gut wie nicht sieht.

Und hier verkündet Prälat Tobias Przytarski in seiner Predigt: Religion sei keine Privatsache, sondern „der kostbarste, zwar persönliche, aber öffentliche Beitrag, den wir an der Gesellschaft leisten können“. Jesus habe die Gläubigen nach seiner Auferstehung mit dem Auftrag versehen, Zeugen zu sein, an die Öffentlichkeit zu gehen. Weniges sei so persönlich wie der Glaube, doch nichts daran sei privat. Wäre Religion Privatsache, „würde ich nicht Gottesdienst feiern“, sagt er. Natürlich blickt auch er dabei nur auf die Treppe zwei Meter vor ihm.

Nach der Messe steht auf dem Platz zwischen Kirche und Humboldt-Universität ein Mann Mitte 50 in der Morgensonne. Offenbar hat sich ihm das Schlusslied zum  Ohrwurm entwickelt, und er pfeift: „Freu dich, du Himmelskönigin.“ Zumindest ein bisschen Religion hat es die Treppe hinauf und in die Öffentlichkeit geschafft.

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