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SONNTAGS um zehn: Das schwere Erbe der Weltkriege

Die St. Marienkirche hatte einen Prediger aus Polen zu Besuch

Es war Volkstrauertag, der Sonntag, an dem in den Kirchen traditionell der Toten beider Weltkriege gedacht wird – so auch in der St. Marienkirche in der Nähe des Alexanderplatzes. Aber „während wir früher nur der deutschen Toten gedacht haben, wollen wir heute aller Toten aller Länder gedenken“, sagte Pfarrer Johannes Krug zu Beginn des Gottesdienstes, den der Landesposaunenchor unter Leitung der Zehdenicker Posaunenwartin Barbara Barsch mit feierlichen Klängen untermalte. Denn die St. Mariengemeinde hatte seltenen Besuch: Roman Pracki, Propst der befreundeten Evangelischen Gemeinde in Krakau, mit einer polnischen Gemeindegruppe.

Am Volkstrauertag erinnerte er die Gemeinde von der Kanzel in St. Marien an die düstersten Kapitel deutsch-polnischer Beziehungen, die Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. „Unsere Geschichte ist unser Erbe, unabhängig davon, ob wir damit einverstanden sind oder nicht“, sagte der polnische Pfarrer. „Unser Widerstand dagegen, unser Wegschauen ändert das nicht.“ Und der Theologe erzählte von einem Amtskollegen, den eine jüdische Mutter als Baby in die Hände einer polnischen Familie gab, damit er nicht in der Gaskammer sterben musste. „Entscheidungen zu treffen ist schwer“, sagte Pracki. „Oft weiß man erst hinterher, dass diese Entscheidung die richtige war.“ Doch Christen seien dazu aufgefordert, „die Nöte der Nächsten“ stets im Blick zu haben. „Die Kenntnis der Geschichte verschärft unseren Blick dafür.“

Anschließend beteten die Anwesenden für die Opfer von Krieg und Gewalt. Und nach jeder Fürbitte zündeten die Pfarrer auf dem Rand des Taufsteins eine Kerze an. Doch auf den würdevollen und getragenen Gottesdienst folgte die fröhliche Völkerverständigung: Beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst blieben Deutsche und Polen noch lange im Gespräch. Benjamin Lassiwe

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