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SONNTAGS um zehn: Es darf gejubelt werden

Ein zuversichtlicher Gottesdienst in Schöneberg: Da das Alte nicht so einfach aus den Köpfen verschwindet, spricht Pfarrer Mark Pockrandt noch einmal über den Volksentscheid vom letzten Sonntag über ein Wahlpflichtfach Religion. Von Frustration ist keine Spur.

Das Neue ist nicht immer besser als das Alte. Dieser Gedanke mag den ein oder anderen Gottesdienstbesucher beschleichen, wenn er die alte Dorfkirche Schöneberg rechts liegen lässt, um in den futuristischen Dreiecksbau der Paul-Gerhardt-Kirche einzutreten. Drinnen wird das puristische Grau-in-Grau der Betonwände nur vereinzelt aufgehellt von bunten Fenstern und einem violetten Lichtkegel in einer der vielen spitzen Ecken des Raumes.

„Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist!“ Der eben verkündete Wochenspruch aus dem zweiten Korintherbrief wirkt vor diesem optischen Hintergrund nicht ganz so wohltuend, wie er sollte. Dabei ist heute Jubilate, so wird im Kirchenjahr der dritte Sonntag nach Ostern genannt. Ein Tag des Jubels über die „neue Schöpfung“, in der sich die Christen nach Ostern aufgehoben wissen und die sich in diesen Tagen auch im neuen Erwachen der Natur zeigt.

Da das Alte dennoch nicht so einfach aus den Köpfen verschwindet, spricht Pfarrer Mark Pockrandt in der Predigt noch einmal über den Volksentscheid vom letzten Sonntag über ein Wahlpflichtfach Religion. Eine Gemeinschaft lebe von Menschen, die sie mitgestalten, die sich nicht raushalten. Ein demokratischer Volksentscheid sei also ein Beispiel für ein Engagement im christlichen Sinn, egal wie dieser ausgehe. Damit will er denen widersprechen, die jetzt sagen, Berlin sei eine Hauptstadt des Atheismus. Theismus – Atheismus, eigentlich gehe es doch nur darum, Gutes zu tun und nicht um die Frage, wie gläubig jemand sei. So deutet der Pfarrer den Begriff im Anschluss an das Alte Testament. Nur wer gottlos handle, sei Atheist, egal, ob er beteuert zu glauben oder nicht zu glauben. „In einer Hauptstadt des Atheismus sähe es anders aus als im demokratischen Berlin, da wären Raub, Mord und Gewalt an der Tagesordnung, da würden Zustände herrschen wie in Sodom und Gomorrha“, sagt Pockrandt und wirbt für einen praktizierten Glauben. Dann könne einem das Gerede von der Stadt des Atheismus egal sein. „Jetzt geht es darum, die Entscheidung des Volkes zum Wohl der Kinder und Jugendlichen umzusetzen.“

Von Frustration ist keine Spur in dem Gottesdienst. Im Gegenteil, die Mitglieder der Schöneberger Gemeinde sehen nach Feiertag aus. Viele junge Leute und Familien sind da, einige haben sich herausgeputzt, mit Sonntagsanzug, Kostüm und Hut. Aber vor allem: die Musik in diesem Gottesdienst feiert „Jubilate“. Begleitet von zwei Violinen, Violoncello und Orgel singt die Sopranistin Eva Kirchner Stücke von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach. Der musikalische Jubel erfüllt den verschachtelten Kirchenbau. Zum Schluss kommt Bachs Toccata und Fuge. Auch das Alte kann sehr groß sein.

Sandra Stalinski

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