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Berlin: Sophia Wendt: Polizei fasst mutmaßlichen Entführer

Die Polizei hat gestern Nachmittag den mutmaßlichen Entführer der neunjährigen Sophia Wendt gefasst. Gegen 14.

Die Polizei hat gestern Nachmittag den mutmaßlichen Entführer der neunjährigen Sophia Wendt gefasst. Gegen 14.20 Uhr nahmen die Beamten in der Suhler Straße 75 in Hellersdorf einen 36-jährigen Mann in seiner Wohnung fest. Bevor die Polizei mit Hilfe eines Schlüsseldienstes in die Wohnung drang, schluckte der Mann jedoch Medikamente. Bei der Festnahme war er zwar bei Bewusstsein, musste aber mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus. Deswegen konnte er noch nicht vernommen werden. Die Beschreibung des Mädchens passe sehr gut auf den Mann, sagte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gestern Abend. "Wir sind sicher, dass das Mädchen die vier Tage in dieser Wohnung war." Die Polizei untersucht jetzt, ob eine Beziehungstat vorliegt, sagte Jochen Sindberg, der Leiter der Mordkommissionen. Der Mann, der bisher bei der Berliner Polizei nicht auffällig war, soll am heutigen Sonnabend dem Haftrichter vorgeführt werden.

"Der Mann sieht so aus, wie ihn uns Sophia beschrieben hat", sagte Saberschinsky. Der Festgenommene fährt zudem einen dunklen BMW der 3er Reihe, - dieser Typ gibt den Signalton beim Rückwärtsfahren ab, an den sich Sophia erinnern konnte. Auch die Wohnung stimme bis in die Details mit den Schilderungen des Mädchens überein. "Sie erinnerte sich an erstaunlich viel für eine Neunjährige", lobte Saberschinsky. Schon vor drei Tagen hatte der Leiter der 4. Mordkommission versichert: "Wenn wir in eine Wohnung reinkommen, wissen wir sofort, ob wir in der richtigen sind." Und so war es gestern um 14.20 Uhr. Saberschinky sprach am Abend von "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", den Richtigen gefasst zu haben.

Die im dritten Stockwerk gelegene Wohnung des Mannes in der Suhler Straße 75 ist bei normaler Fahrweise acht Autominuten vom Entführungsort im Klüsserather Weg entfernt, ermittelte die Kripo gestern Nachmittag - Sophia hatte von einer kurzen Autofahrt gesprochen.

Enttäuscht und verärgert waren die Ermittler der 30-köpfigen "Sonderkommission Sophia" gestern, dass der Mann sich einer Vernehmung entzogen habe, indem er eine größere Menge Antidepressiva schluckte. "Der Mann war in desolatem Zustand", berichtete der Polizeipräsident. Man hätte ihn gerne sofort vernommen, nun müsse man auf das o.k. der Ärzte warten. Ob der Mann mit der Medikamenten-Einnahme Selbstmord begehen wollte, sei unklar. Am heutigen Sonnabend soll ein Richter Haftbefehl erlassen.

Die richtige Wohnung fand die Polizei durch einen Zufall so schnell. Alle in Frage kommenden 14 Wohnungsbaugesellschaften wurden angeschrieben - schon das erste Haus der ersten Gesellschaft, die antwortete, war der Treffer. Unter den 54 von der Gesellschaft gemeldeten Wohnungen fiel bei einer ersten Überprüfung der 36-jährige Mieter der im 3. Stock der Suhler Straße 75 gelegenen Wohnung auf. Doch auf das Klingeln öffneten der allein lebende Mann nicht. Um keine Spuren in der Wohnung zu zerstören, holte die Polizei den Schlüsseldienst. In dieser Zeit griff der Mann dann zu den Tabletten. Nach Angaben der Polizei lebt der gebürtige Brandenburger schon längere Zeit in diesem Haus, zumindest in Berlin sei er ein unbeschriebenes Blatt.

Vor dem Haus in der Suhler Straße 75 hatten sich am Abend Journalisten und Fotografen versammelt, umringt von neugierigen Kindern aus der Nachbarschaft. Polizeibeamte hielten die Eingänge zum Haus verschlossen. "Die Spurensicherung wird noch Stunden in der Wohnung beschäftigt sein", informierte einer der Beamten die Wartenden gegen 17.30 Uhr. Die meisten Journalisten folgen der impliziten Aufforderung, das Feld zu räumen. So lange will offenbar niemand in der Kälte warten, um Nachbarn zu interviewen.

"Total unauffällig" sei der Festgenommene gewesen, sagte eine ehemalige Bewohnerin des Hauses, die vor zwei Jahren in ein angrenzendes Haus umzog. Dem allein lebenden Junggesellen, der schon länger im Haus wohne, sei sie nur selten im Haus begegnet. "Uns ist in den Tagen, während Sophia vermisst wurde, nichts Verdächtiges aufgefallen", sagte eine Mieterin aus dem Haus, "andernfalls hätte die Polizei ihn sicher früher gefasst". Sie selbst wohne erst seit zwei Monaten im Haus und habe den 36-jährigen Nachbarn "noch nie gesehen, jedenfalls nicht bewusst".

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky nannte den Entführungsfall gestern Abend einen "in vielerlei Hinsicht äußerst ungewöhnlichen Fall". Das Kind war am Donnerstag voriger Woche auf dem Heimweg vom Hort von einem Mann in ein Auto gezerrt worden. Am Montagmorgen meldete sie sich wohlauf auf dem Polizeiabschnitt 72 in Marzahn; die ärztliche Untersuchung ergab, dass sie während ihres langen Verschwindens nicht sexuell missbraucht worden war. Mit Entsetzen musste die Polizei dann miterleben, wie Sophia von ihren Eltern zum Medienstar gemacht wurde; die Freilassung am Montag wurde bis nachts um 2 Uhr gefeiert. Am Dienstag war Sophia dann nicht in der Lage, mit der Polizei zu sprechen, weil sie müde war. Am Dienstagnachmittag hatten Sophias Eltern - der Vater ist Polizeikommissar - für Interviews des Mädchens mit mehreren privaten Fernsehsendern reserviert. Das Verhalten der Eltern nannte Polizeipräsident gestern als "in keiner Weise förderlich". Erst nach einer deutlichen Intervention des Leiters der Direktion 7, Michael Knape, der der Vorgesetzte von Wendt ist, dämpfte die Familie den Medienrummel etwas.

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