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Berlin: Souverän im Regen

Im Reichstag wurde der Bundespräsident gewählt, vor der Tür schauten nur wenige auf der Videowand zu

Als Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Reichstag das Wahlergebnis verkündete, machte der Regen gerade Pause. Drinnen war Horst Köhler mit einer Stimme Mehrheit im ersten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt worden, draußen standen knapp hundert durchgeweichte Bürger vor der aufgebauten Videowand und klatschten Beifall. Ziemlich verhalten allerdings, was daran liegen mochte, dass es sich mit Schirm in der Hand nicht gut klatscht. Oder daran, dass Gegenkandidatin Gesine Schwan vor dem Reichstag die klare Favoritin war.

Bei dem Wetter hatte Volksfeststimmung auf dem Platz der Republik von vornherein keine Chance. Dass im Reichstag ein politisches Großereignis mit 1205 Wahlmännern und rund 1100 akkreditierten Journalisten im Gange war, konnte man draußen höchstens an der Masse der Polizisten ablesen. Und an den Tragetaschen mit der Aufschrift „Bundesversammlung“, die es im Werbetruck des Bundestages umsonst gab. Wegen des erwarteten Andrangs von Schaulustigen hatte die Polizei sogar die Straßen rund um das Reichstagsgebäude bis Montagnacht gesperrt. Doch blieb der Zustrom aus. Nur unter dem Vordach des Trucks wurde es eng von all denen, die Schutz vor dem Regen suchten – bis Mitarbeiter sie vertrieben, besorgt, der Lastwagen könnte zusammenbrechen. Irgendwie entsprach die Langeweile draußen dem wenig überraschenden Verlauf drinnen. Am Morgen hatte ein Dutzend Demonstranten vor dem Reichstagsgebäude kurzzeitig ein wenig Aufsehen erregt. Das Grüppchen protestierte gegen die Nominierung des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als CDU-Wahlmann. „Hitlers Marinerichter ist in Berlin unerwünscht“, stand auf einem Transparent.

Nach Bekanntwerden des Ergebnisses standen Julia Ludwig und Melanie Park enttäuscht unterm Regenschirm. „Wir sind echte Hardcore-Fans von Gesine Schwan“, sagte Julia Ludwig. „Sie ist so offen und sympathisch. Schade, dass sie es nicht geworden ist.“ Die beiden Berlinerinnen haben an der Viadrina in Frankfurt (Oder) studiert, zum Abschied hatte Gesine Schwan, ihre Uni-Präsidentin, sie sogar umarmt. „Wirklich schade“, sagte Melanie Park. Manche Zuschauer vertrieben sich die Zeit mit dem Fachsimpeln über das Amt des Präsidenten. Sollte er mehr Macht bekommen? Wie steht es mit der Direktwahl? Ein holländischer Journalist erläuterte die Vorzüge eines Königshauses, ein paar Berlin-Besucher ärgerten sich, die Bürger würden „mal wieder im Regen stehen gelassen“. Susann Ruschin trotzte in ihrer Regenjacke jedem Schauer. „Für mich ist die Wahl etwas ganz Besonderes“, sagte die 45-Jährige. „Wenn nötig, bleibe ich den ganzen Tag.“ Als es am Ende schneller ging, war allerdings auch sie erleichtert. Immerhin: Bei Köhlers Dankesrede riss der Himmel auf.

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